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Kultur: "Victor": Die Hure und das Kind

Sandrine Veysset interessiert sich nicht für die Träume der Satten. Vielleicht, weil das Sattsein die Abwesenheit des Traumes ist.

Sandrine Veysset interessiert sich nicht für die Träume der Satten. Vielleicht, weil das Sattsein die Abwesenheit des Traumes ist. Wer Hunger hat, glaubt leichter, dass er lebt. Hunger ist ein Zustand. Sandrine Veyssets Filme sind auch Zustände, eine Abfolge von Zuständen.

Hunger? Nein, nicht physisch, eher ein Lebenshunger. Wahrscheinlich zeigt er ähnliche Symptome, bevor er - ungestillt - übergeht in Agonie. Dieser Übergang interessiert Sandrine Veysset. Glaubt man ihrem Film, so muß dieser Übergang dunkel sein. Eine sehr lange Halbdämmerung des Lebens. Es wird niemals wirklich hell in "Victor". "Gibt es zu Weihnachten Schnee?" hieß Sandrine Veyssets Erstling.

Victor, zehn Jahre alt, läuft weg von zu Hause, während seine Eltern miteinander schlafen. Mag sein, er hatte die Rolle des Zeugen auszufüllen in den elterlichen Spielen. Aber eine Aufklärerin ist Sandrine Veysset auch hier nicht. Sie belässt es beim Halbdunkel. Ihre ganze Aufmerksamkeit gilt der Begegnung zweier Verlorener. Die junge Prostituierte Triche (Lydia Andrei) nimmt Victor bei sich auf. Die Hure und das Kind: Welche Verschmelzungen sind hier möglich, welche Nähe zweier seelisch Obdachloser? Grobkörniges Halbdunkel ist die richtige Beleuchtung für Symbiosen. Konturen verschwimmen, ein Doppelwesen entsteht.

Und dennoch, dieses Dunkel hat auch etwas allzu Gewolltes. Zurück ans Licht, den Ausgang finden aus der Urhöhle! Zur Sonne! Hinein in die glasklaren Unterscheidungen des Tages!

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