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Klick-Hit. Der Schauspieler Jacob Matschenz tickt aus - in Dietrich Brüggemanns neuem Musikvideos zu Kettcars Song "Rettung".

© D. Brüggemann

Videoclips: Weitergucken, weitersagen

Der Berliner Regisseur Dietrich Brüggemann über Filme zu Songs – und seinen „Musikvideoabend“ im Ballhaus Ost. Ein Gespräch.

Herr Brüggemann, „MTV starb an einer Überdosis Klingeltonwerbung“, schreiben Sie. Heute gibt es Online-Plattformen wie Tape.tv und QTom. Musste für die das Format Musikclip neu erfunden werden?

Da ist was dran. Man hat das Gefühl, mit dem Absturz von MTV und Viva in die Irrelevanz ist auch eine Art von Musikvideo abgestürzt. Teuer gemachte, teuer aussehende Videos, wo eine Band in irgendeiner absurden Umgebung spielt, und dazwischen passiert eine absurde Spielhandlung. Das war in den Achtzigern und Neunzigern vielleicht toll. Aber die Clips, die damals visionär waren, sind nie irgendwelchen Mustern gefolgt.

Was ist Ihr Lieblingsmusikvideo?

Die Sachen, die Spike Jonze und Michel Gondry gemacht haben, die hat jeder im Kopf. Nach dem Video zu Fatboy Slims „Praise you“ von 1998 hätte man keine Tanzvideos mehr drehen müssen. Jonze hat eine Sache verarscht, die sonst immer in einer irrealen, luftdicht verpackten Hochglanzwelt spielte, wo irgendwelche Leute tanzen. Das war ein erfrischender Schlag ins Gesicht, als er diese Amateurtruppe in ein Einkaufszentrum stellte, die aber viel mehr Spaß bei der Sache hat und dann rausgeschmissen wird.

Was hat sich seitdem verändert?

Früher musste man Videos machen, bei denen die Kommission bei MTV gesagt hat: Das spielen wir. Heute entscheidet jeder, der es im Internet guckt, ob er es weiterguckt oder weitersagt. Es muss viral sein, um mal dieses Modewort zu bemühen. Das ist einerseits eine Befreiung, man kann mit einer guten Idee direkt weit kommen. Andererseits ist es gnadenlos. Entweder der Clip ist viral – oder nicht.

In dem Video zu Tim Neuhaus’ „As Life found you“ lassen Sie die Schauspieler beschriftete Pappschilder hochhalten – wie in alten Clips von Bob Dylan oder INXS.

Natürlich, man steht auf den Schultern von Riesen. Musikvideos mit Papptafeln hat es schon gegeben. Was es meines Wissens noch nicht gab, ist, dass man mit ihnen eine Geschichte erzählt, dass Küsse in Form von Schildern ausgetauscht werden.

Ist charmant gemacht.

Und ist viral eingeschlagen.

Bei QTom wurde es zum besten Video 2011 gewählt, Ihr Clip zu Thees Uhlmanns „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“ war Nummer vier.

Das ist alles eher zufällig passiert. Ich hatte jahrelang keine Musikvideos gemacht. Aber eine gute Freundin von mir war damals mit Tim Neuhaus zusammen, privat. Über die habe ich mitgekriegt, dass da ein Video gemacht werden soll, so kam das zustande. Und dann war die Arbeit mit Tims Label Grand Hotel van Cleef so angenehm, dass ich inzwischen sieben weitere Videos für sie gemacht habe.

Dietrich Brüggemann, 36, Regisseur aus Berlin.
Dietrich Brüggemann, 36, Regisseur aus Berlin.

© Mike Wolff

Wird die Zusammenarbeit weitergehen?

Ja, sicher. Wir lieben einander. Man hat nicht wirklich Geld, aber das ist die schöne Herausforderung: damit was zu machen, das Spaß macht.

An diesem Freitag veranstalten Sie, zusammen mit den Regisseuren Stephane Leonard und Christian Mertens, den „Musikvideoabend“. Sie wollen Clips, unter anderem von Niels Frevert, Kettcar, Thees Uhlmann und Beatsteaks, „zurück auf die große Leinwand“ bringen.

„Zurück“ ist eigentlich falsch, sie waren ja nie dort. Aber die Erfahrung zeigt, dass es überraschend geil ist, so ein Musikvideo auf der großen Leinwand zu sehen. Die Idee stammt ursprünglich von Christian Mertens, wir wollten Clips für Freunde in einer Kneipe zeigen.

Dann wurde es das Ballhaus Ost …

… und die Sache ist schon zweimal erfolgreich gelaufen. Anscheinend haben wir ein Bedürfnis erfüllt: dass Leute gern Musik öffentlich zelebrieren, jenseits von Konzertritualen, wo eine Band den ganzen Abend lang spielt. Sondern in Verknüpfung mit dem Audiovisuellen. Obwohl die Musiker bei uns ja dann trotzdem live auf die Bühne kommen.

Diesmal spielen Niels Frevert und Moritz Krämer – und Sie selbst mit Ihrer Band Jack Human.

Der Abend entspricht ein bisschen einer Filmpremiere: Das Video wird groß gezeigt, und die Macher sind da und plaudern aus dem Nähkästchen. Wir zeigen eigene Werke, dazu Dinge von Leuten, die wir kennen und gut finden. Und aus dem Netz Gefischtes – quasi eine kuratierte Videoshow.

Haben Sie das Gefühl, dass das, was Sie in der Arbeit an Musikvideos entwickeln, auf Ihre Spielfilme zurückstrahlt?

Durchaus, ja. Bei dem neuen Kettcar-Video „Rettung“ habe ich das festgestellt. Ein Typ gibt sich im Nachtleben die Kante, das wird rückwärts gezeigt – es hat unfassbar Spaß gemacht, das zu drehen. Man hat ja immer Ideen im Hinterkopf. Da kann so ein Musikvideo schon ein Versuchsballon sein.

Wie wichtig ist es eigentlich, dass der Musiker im Video rumsteht und Gitarre spielt?

Gar nicht mal so unwichtig. In Zeiten, in denen jeder so etwas machen und auf Youtube stellen kann, finde ich es wichtig, dass der Künstler, dessen Gesicht man meistens ja kennt, seine Sachen beglaubigt. Oder zumindest die Band irgendwo rumsteht und spielt, das kann ganz beiläufig passieren. Deswegen war es mir auch wichtig, dass im „Rettung“-Clip die Band in Nebenrollen auftaucht. Marcus Wiebusch als Barkeeper, einfach super. Und eigentlich sollte Thees Uhlmann den Koksdealer spielen, aber das ging dann aus terminlichen Gründen nicht.

Das Gespräch führte Jan Oberländer. Musikvideoabend, Fr, 8. Juni, 20 Uhr, Ballhaus Ost, Pappelallee 15, Prenzlauer Berg.

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