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Kultur: Viel Freund, viel Ehr’

Ulrich Khuon stellt sich in Berlin als künftiger Intendant des Deutschen Theaters vor

Eine geradezu klassische Karriere: Konstanz, Hannover, Hamburg, Berlin. Ulrich Khuon hatte jetzt Angebote aus München und Zürich, er hat sich für die deutsche Hauptstadt entschieden, für das Deutsche Theater. Man fühlt sich für einen Moment in wilhelminische Zeiten zurückversetzt, oder in die DDR – als das Haus in der Schumannstraße die Spitze der Theaterpyramide war.

Verflacht, wenn nicht verschwunden sind die Hierarchien – und das Denken in ihnen. Aber es gibt Orte, und das Deutsche Theater zählt gelegentlich dazu, die einen Sog ausüben. Bei denen Tradition nicht nur Last und Behauptung ist. Und wenn man sich die Liste der Regisseure anschaut, die Khuon in Hamburg mit groß gemacht hat, dann muss sich das gegenwärtige Theater nicht verstecken: Michael Thalheimer, Martin Kusej, Armin Petras, Stephan Kimmig, Andreas Kriegenburg. Die letzten beiden will er (wieder) nach Berlin holen, und Thalheimer bleibt am DT. Das war ein neuralgischer Punkt bei der ganzen Operation.

Riesenauftrieb gestern im DT-Foyer bei der Vorstellung des künftigen Intendanten. Premiere für Klaus I., den Regierenden Kulturmeister. Seine erste Personalentscheidung im Kulturnebenhauptamt. Wowereit sitzt mit Genießermiene am Tisch, links neben ihm DT-Intendant Bernd Wilms, für den es schon mal reichlich Lob und Anerkennung gibt (er hat ja noch anderthalb Spielzeiten vor sich). Rechts außen Kulturstaatssekretär André Schmitz, der nichts sagt, aber auch von Genugtuung durchdrungen scheint. Nur Khuon, der Mann, um den es in dieser staatstheatertragenden halben Stunde geht, wirkt noch ein wenig angespannt.

Kulturpolitik in Berlin hat sich selten so öffentlichkeitsbewusst und professionell dargestellt. Man ist hier anderes gewohnt: Hängepartien, Dolchstöße, Palaver auf dem Hühnerhof. Diesmal aber ging alles schnell und sagenhaft reibungslos. Khuon hat am Thalia Theater einen Vertrag bis 2010, aber die Hamburger Kultursenatorin Karin von Welck zeigt sich generös und lässt Khuon ein Jahr früher ziehen. 2009 wird er seine Intendanz am DT antreten, DT-Chefdramaturg Oliver Reese leitet das Haus bis dahin interimistisch, da Bernd Wilms 2008 definitiv aufhört. So viel Harmonie ist fast unheimlich am Theater. Denn auch mit Thalheimer hat sich Khuon in aller Freundschaft geeinigt.

Unterstützt von weiten Teilen des DT-Ensembles, hat Thalheimer ja selbst für den Intendantenposten kandidiert; zu seinen Fans, die einen offenen Brief unterzeichneten, gehört auch der Schausspieler Alexander Khuon, der Sohn von Ulrich Khuon. Dass sich Wowereit und Schmitz für Khuon entschieden haben, hat Thalheimer offenbar gut verwunden. Er zeigt sich gestern auf der Vollversammlung des Deutschen Theaters mit der Khuon-Lösung einverstanden. Das kann er auch: Thalheimer ist fünfzehn Jahre jünger als sein künftiger Berliner und aktueller Hamburger Intendant, und Thalheimer ist in erster Linie Regisseur.

„Starke Regiehandschriften“. Das war einer der drei programmatischen Punkte, zu denen sich Khuon gestern mit erstaunlicher Ausführlichkeit einließ. Die anderen beiden lauten: Ensemblepflege und das, was er zeitgenössisches Theater nennt. Khuon will seine Hamburger „Autorentheatertage“ in Berlin weiterführen, Stückaufträge vergeben und Uraufführungen forcieren. Immerhin ein kleiner Unterschied zu Wilms, dessen Erfolge vor allem auf Klassikerinterpretationen gründen. Khuon spricht sich für eine „starke Dramaturgie“ aus, seine Hamburger Chefdramaturgin Sonja Anders soll ihm nach Berlin folgen. Beim Thema neue Stücke und zeitgenössische Autoren entwickelt der besonnene, ruhig argumentierende Theatermann sichtlich Leidenschaft. Das Theater, das zeitgenössische zumal, sei von Vorurteilen umstellt. Und dagegen tritt er an. Er will die Ausbildung junger Regisseure und Schauspieler vorantreiben. Und er trägt all diese Punkte in dem Bewusstsein vor, dass dies nichts Neues sei, aber deswegen nicht minder schwierig und nötig. Im Übrigen: Er hat Berlin gegenüber auch ein Gefühl von „Fremdheit“ und bisher mit Kulturpolitikern immer Glück gehabt.

Da geht ein amüsiertes Raunen durchs Foyer, jemand ruft Khuon zu: „Sie kennen Berlin nicht.“ Khuon sagt, er habe sich für das Deutsche Theater entschieden, weil dies von allen Karrierevarianten die „riskanteste“ sei. So habe er stets gehandelt.

Wenn er erklärt, wie er das Theater sehen möchte – beweglich, transparent, klar –, spricht der Manager aus ihm. Mit Khuon bekommen Wowereit und Schmitz (oder wer immer dann einmal die Kultur in Berlin verwaltet) einen beharrlichen, ausgeschlafenen Partner. Khuons Vertrag läuft bis 2014, mit einer Option auf weitere fünf Jahre.

Auch für die unangenehme Sache mit Thomas Oberender und dessen noch mit Kultursenator Flierl geschlossenen Vorvertrag gibt es Erklärungen. Wowereit fühlte sich an die Vereinbarung mit Oberender nicht gebunden und freut sich über die große Auswahl „hervorragender Kandidaten“ fürs DT. Und Khuon, der vor zwei Jahren in einer Intendantenfindungskommission saß, die Oberender empfahl (und dann die Verlängerung von Wilms), sieht darin naturgemäß keinen Hemmschuh. So viel Selbstbewusstsein müsse sein, dass man die eigenen Qualitäten nicht zurückstelle.

Freundschaft, Harmonie, fast überall nur Gewinner. Im März gastieren die Hamburger am DT, im April vice versa. Und plötzlich dämmert es: Wo stünde das Deutsche Theater heute ohne die enge Verbindung zum Thalia Theater? Wann war ein Wechsel je so folgerichtig? Und da Khuon das besser weiß als jeder andere, fügt er hinzu: Es muss, wenn er nach Berlin kommt, noch etwas „Neues, Drittes“ geben, etwas, das über Thalia und DT von heute hinausreicht.

Rüdiger Schaper

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