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Kultur: Viel Kaffee, wenig Schlaf

Jan Seghers alias Matthias Altenburg schreibt den perfekten Krimi

LITERATUR

Krimis sind eine verteufelte Sache. Unzählige Muster, Bilder, Normen und Erwartungen hausen in den Hirnen der erfahrenen Leser. Da genügt eine falsche Bewegung, ein fahrlässiges Wort, und das Buch fliegt in die Ecke. So stellt man sich bei einem neuen Krimiautor erst einmal auf vorsichtigen Flirt ein, um nicht zu sehr enttäuscht zu werden.

Jan Seghers alias Matthias Altenburg, Jahrgang 1958, macht solche Überlegungen allerdings nach wenigen Absätzen überflüssig. Das liegt an der geheimnisvollen Titelheldin, die als „Ein allzu schönes Mädchen“ in ein überaus hässliches Schicksal tappt und sich gleichwohl einen Rest Unzerstörbarkeit bewahren kann. Das liegt an der originellen Person des Ermittlers Robert Marthaler, dessen Charakterzüge anrührend changieren zwischen Professionalität, Sensibilität und Ansätzen von Kauzigkeit. Es liegt an der Fülle unterschiedlichster Nebenfiguren, die Seghers mit wenigen Strichen vor dem Leserauge erstehen lässt. An der detailfreudigen Schilderung der Polizeiarbeit, des Privatlebens, der Schauplätze und der aktuellen Gesellschaft. An der exzellenten Dramaturgie und an einer Handlungskonstruktion, die in ihrer Feinheit und Anmut einem munter schnurrenden Uhrwerk gleicht.

Und es liegt vor allem daran, dass der ganze Roman von einer musikalischen, intensiven Spannung durchpulst wird: bewegende Szenen, explosive Passagen, humorvolle Zwischenspiele, ruhige Phasen und tragische Ereignisse folgen in raffiniertem Rhythmus aufeinander, Vorausdeutungen und Reflexionen, kluge Schachzüge und dumme Fehler bei der Ermittlung wechseln sich ab.

Was fast novellenartig mit einem schrecklichen Unfall im Elsass und wundersamer Rettung des allzu schönen Mädchens beginnt, geht schnell über in einen vielschichtigen Großstadtkrimi, der die Genregesetze achtet und zugleich virtuos übertritt. Das hochsommerheiße Frankfurt am Main erweist sich dabei als erstaunlich überzeugender, schillernder Handlungsort – nicht anders als die Stadt, in der schon Altenburgs Roman „Landschaft mit Wölfen“ spielte. Eine hektische Mörderjagd beschreibt Seghers in akkurater Montage, bei der weitere männliche Opfer Rätsel aufgeben, bei der Vorgesetzte, Kollegen und Presse helfen, behindern, ärgern, bei der Kommissar Marthaler mehr Kaffee trinkt und weniger Schlaf bekommt, als ihm lieb ist, dafür aber eine entzückende Bekanntschaft macht.

All das ist schon außergewöhnlich gekonnt. Altenburg hat sich mit Büchern wie „Die Liebe der Menschenfresser“ und „Irgendwie alles Sex“ einen Namen als Romancier gemacht. Als Krimiautor Seghers stellt er sich unverkennbar in jene europäische Krimi-Tradition, für die Namen wie Sjöwall/Wahlhöö oder Mankell stehen.

Überraschend ist, wie leicht und stimmig Seghers das schwedische Modell auf Deutschland überträgt, wie unangestrengt er Politik, Geschichte, Musik und Kulinarik in die polizeiliche Recherche einbaut, wie elegant und dynamisch seine Sätze die Handlung vorwärtstreiben, wie genau und überzeugend, gerade weil er nicht naturalistisch bleibt, seine Dialoge wirken, wie er früh eine mögliche Lösung andeutet, ohne damit die spannende Aufklärungsfreude zu mindern.

Jan Seghers: Ein allzu schönes Mädchen. Roman. Wunderlich Verlag, Reinbek 2004. 464 Seiten, 19,90 €.

Rolf-Bernhard Essig

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