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Kultur: Vielleicht ist es Liebe

Literatur-Nobelpreisträger Imre Kertész vor der internationalen Presse

Von Jörg Plath

Sind 25 oder 26 Stunden seit dem Anruf aus Stockholm vergangen? Literaturnobelpreisträger Imre Kertész denkt kurz nach auf der Pressekonferenz gestern Mittag im Wissenschaftskolleg, wo er noch bis Juni 2003 Fellow ist. Um 12 Uhr hat ihn ein norwegischer Journalist angerufen und versichert, er werde die Auszeichnung erhalten. Um 13.01 war dann eine Frau am Telefon, deren Namen er nicht verstand, die er überhaupt nicht verstand, abgesehen von der frohen Kunde. Erst zwanzig Minuten später meldete sich auch Herrn Engholm, der Sekretär der schwedischen Akademie, und der Trubel nahm seinen Lauf. Der 73-Jährige sieht erfreut und ein wenig übernächtigt aus nach diesen ersten 26 Stunden Weltruhm.

„Ich freue mich vor allem“, sagt Kertész, „über die Freude, mit der meine deutschen und meine ungarischen Freunde diese Nachricht aufgenommen haben.“ Dann stellt er sich den Fragen der internationalen Presse. Am Anfang stehen wieder die Fragen nach dem Schrecken, den Kertész als Fünfzehnjähriger erfahren hat. „Mein Grunderlebnis war Auschwitz. Auschwitz ist eine tiefe Wunde in der europäischen Kultur. Ich gehe von Auschwitz aus, und wenn ich an einen Roman denke, denke ich an Auschwitz.“ Warum schätzt man seine Bücher besonders in Deutschland? „Vielleicht weil ich den Deutschen etwas zu sagen habe.“ Und warum hat er hier sogar eine bessere Presse als der Nobelpreisträger Günter Grass? „Ich versuche, das nicht zu untersuchen.“ Kertész lächelt, dann lacht er: „Vielleicht liebt man mich.“

Er schreibe, sobald er einen Einfall habe, „ganz unregelmäßig. Aber ich habe trotzdem eine Tagesordnung.“ Im Wissenschaftskolleg (dem er einen Teil des Preisgeldes stiften will) arbeitet Kertész an der zweiten Hälfte eines Romans über jene, die Auschwitz nicht mehr persönlich erlebt haben, „aber mit der Überlieferung ringen“. In zwei Wochen erscheint ein von ihm verfasstes Drehbuch zu seinem „Roman eines Schicksallosen“ - ein ganz „neuer, eigenwilliger Text“, verspricht Suhrkamp-Lektor Rainer Weiss. 40 Jahre lang, sagt Imre Kertész ohne Emphase, habe er keinen Pass besessen. „Jetzt endlich lebe ich in Europa: in Budapest und in Berlin.“ Und seine Bücher finden den Weg in die Welt, jetzt mehr denn je.

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