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Kultur: Vier Fäuste für den Kino-Ruhm

Doppelporträt: Peter Biskinds Buch über Bob und Harvey Weinstein

Ursprünglich waren die beiden Brüder mediokre Rucksackverleiher. In den Achtzigerjahren, stiegen sie als Promoter ins Musikgeschäft ein. Schließlich mauserten sie sich zu den größten Innovatoren im Film- und Kinobetrieb der Neunzigerjahre: Harvey und Bob Weinstein. Sie und ihre Firma Miramax mögen zwar nicht die Macher des Films „Sex, Lies and Videotape“ sein, der Steven Soderbergh den Durchbruch brachte; wohl aber erfanden sie das entsprechende Phänomen: Sie konfigurierten mit ihrem Verleih Miramax das System des unabhängigen Films neu. Sie deklarierten Art-Filme zu Smart-Filmen. Und vermarkteten ihre Filme extrem aggressiv – von „Pulp Fiction“ über „Crying Game“ bis zum Oscar-Abräumer „Shakespeare in Love“.

Die Siebzigerjahre waren das Jahrzehnt der Regisseure, die Neunziger das der Verleiher. Vor Miramax mag es Independent-Filme gegeben haben, aber kein Independent-Kino – und nichts drückte perfekter ihre Marginalität aus, als dass man sie speciality films nannte. Peter Biskinds „Sex, Lies & Pulp Fiction“ zeichnet nach, wie das unabhängige Kino, das aus den bunten Rändern des Betriebs kam, binnen weniger Jahre den Mainstream dominierte – vor allem dank der Chuzpe der Weinstein-Brüder.

Miramax hat Dutzende von Filmemachern aufgebaut, aber auch verschlissen. Harvey Weinstein etwa war bald dafür bekannt, dass er sich mit Inbrunst dem Tuning von Filmen annahm, die Fälle von „Little Buddha“ und „Mr. & Mrs. Bridge“ sind dabei nur die bekanntesten. Über den Regisseur Alexander Rockwell („In The Soup“), der fast daran zerbrach, dass sein Film kaltschnäuzig zu einem Miramax-Produkt umfrisiert worden war, äußerte sich Weinstein mitleidlos: „Das ist einer von den Typen, denen du die Hand halten musst, wenn du ihnen den Kopf abhackst.“

Diese Story ist verbürgt. Ansonsten sind Fakten und Fiktionen in Peter Biskinds Buch ineinander verwoben. Fiktion gleich Falschinformation? Mitnichten. Von Oscar Wilde stammt das Diktum: Der Stil macht ein Buch. Biskinds Stil ist so saftig wie bereits in seinem vorangegangenen Werk „Easy Riders, Raging Bulls“, in dem er den Aufstieg von New Hollywood in den Sechziger- und Siebzigerjahren nachzeichnete. Und durchaus so drastisch, wie seine beiden Hauptdarsteller sich auszudrücken pflegen. Der Autor ist weniger Chronist als Dramaturg. Er arrangiert Storys zu einem pointierten Epochenporträt.

Biskind spielt auf Risiko. Sein Hintergrund ist die Kultur einer Kritik, die Subjektivität nicht nur zulässt, sondern fordert. Über weite Strecken liest sich das Buch wie der Plot eines noch zu drehenden Biopics – in der Art von „The Aviator“, auch dies eine Miramax-Produktion. Der Autor hat seine Informanten auch immer nach ihrer Traumbesetzung befragt, wenn sie denn Harvey Weinstein in einem Film besetzen müssten. Häufig genannt wurden: John Huston, Orson Welles oder Marlon Brando. Mithin: Verstorbene. Wohl kein Zufall. Vielleicht, so darf man folgern, sind auch die Weinsteins selber mittlerweile Vertreter einer untergegangenen Spezies.

Zu den überraschenden Befunden von Biskinds Buch gehört, dass der Independent-Film fast ausschließlich ein Kino von Erstlingswerken ist. „Die Psychologie des amerikanischen Independent-Betriebs hat die Psychologie des Autorenkinos ersetzt“, sagt James Schamus – Produzent der Filme von Todd Solondz und Ang Lee und einer der profiliertesten Miramax-Konkurrenten. Nach viel versprechenden Debüts verschwinden die meisten Filmemacher ganz – zuletzt konnten nur Bryan Singer und Chris Nolan ihren Indie-Erfolg als Startrampe für ein luxuriöses Obdach in den Studios nutzen.

Kleiner Schwachpunkt: Biskinds funkelnde Recherche-Arbeit ist im Original Anfang 2004 erschienen – so konnte die jüngste Entwicklung bei Miramax, auch der Streit um Michael Moores „Fahrenheit 911“, der zum Zerwürfnis mit den Disney-Geldgebern führte, nicht mehr berücksichtigt werden. Im März 2005 haben sich die Weinsteins und Disney getrennt. Der Name Miramax bleibt bei Disney, ebenso die Rechte an den 600 Miramax-Titeln. Seit 1993, als Disney Miramax für 70 Millionen Dollar kaufte, haben die Brüder jedenfalls ganze Arbeit geleistet: Als Ablösesumme wurde jetzt der knapp sechsfache Betrag genannt – 403 Millionen plus künftige Bonuszahlungen für die Weinsteins. Nun werden sie auf eigene – wie man vermuten darf: eiserne – Faust weitermachen.

Peter Biskind „Sex, Lies & Pulp Fiction“ Aus dem Amerikanischen von Fritz Schneider und Gunter Blank. R&B bei Zweitausendeins. 850 Seiten, 29,90 €.

Ralph Eue

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