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Kultur: Viererbande - klassisch modern

Zu Unrecht noch relativ unentdeckt: "Die blaue Vier" in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-WestfalenVON VANESSA MÜLLERDie klassische Moderne scheint kunsthistorisch hinreichend und komplett inventarisiert - und doch gibt es ihn, den unerforschten Fleck inmitten der -Ismen und manifestschreibenden Splittergruppen.Die Blaue Vier, der die Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen jetzt eine umfangreiche Schau widmet, ist ein solcher Fleck, der zumindest in Europa bislang recht blaß geblieben ist.

Zu Unrecht noch relativ unentdeckt: "Die blaue Vier" in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-WestfalenVON VANESSA MÜLLERDie klassische Moderne scheint kunsthistorisch hinreichend und komplett inventarisiert - und doch gibt es ihn, den unerforschten Fleck inmitten der -Ismen und manifestschreibenden Splittergruppen.Die Blaue Vier, der die Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen jetzt eine umfangreiche Schau widmet, ist ein solcher Fleck, der zumindest in Europa bislang recht blaß geblieben ist. Dabei verbergen sich hinter der 1924 in Weimar gegründeten Viererbande etablierte Größen der Malerei wie Lyonel Feininger, Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky und Paul Klee.Die im Hintergrund agierende Protagonistin scheint allerdings Emmy Esther Scheyer (1889-1945) gewesen zu sein, jene enthusiastische, energische und ambitionierte Kunstsammlerin und -händlerin, von der immer wieder die Initiative zum künstlerischen Dialog ausging.Sie, die bereits 1925 in die USA emigrierte, regte die Gründung des Quartetts an, um den von ihr verehrten Maler jenseits des Atlantiks zum Erfolg zu verhelfen, auch in finanzieller Hinsicht. Insofern ist die Blaue Vier weniger ästhetisch innovative Konzeption als verkaufsförderndes Etikett, der Versuch, in Anlehnung an den Blauen Reiter eine Gruppenidentität zu schaffen, die verschiedene Formen moderner Abstraktion auf einen griffigen Nenner bringt.Besonders Jawlensky gefiel der Name: "Eine derartige Vereinigung der Vier kann eine große suggestive Kraft auf die Amerikaner ausüben; namentlich `The 4Ô, da sie drüben eine Eisenbahn-Vereinigung haben, die `die große vierÔ heißt." Alexander Jawlensky lernte Esther Scheyer, die ursprünglich selbst Malerin war, bereits 1915 kennen und schätzen, Kandinsky, Klee und Feiniger wenig später über das Bauhaus.Die erste Ausstellung ihrer "vier blauen Könige" in New York, übte zwar nicht die prognostizierte Suggestivkraft aus, als die selbsternannte Botschafterin der Moderne an die Westküste nach Los Angeles zog, sollte sich jedoch ändern. Von Richard Neutra ließ Scheyer sich eigens ein Haus entwerfen, um den Werken der "Blue Four" einen angemessenen Rahmen zu bieten.Sie zählte Hollywoodgröße von Marlene Dietrich über Greta Garbo bis Charly Chaplin zu ihren Bekannten, pflegte Kontakte zur europäischen Imigrantenszene, zu Adorno, Strawinsky und Schönberg, und konnte wichtige Privatsammler zum Bilderkauf gewinnen.Joseph von Sternberg gehörte dazu, aber auch der junge John Cage.Allein die Schauspielerprominenz, die Scheyer als Kunden im Visier hatte, schmückte ihre kalifornischen Villen lieber mit geliehenen Bildern. Für die Mitglieder der "Blue Four" selbst blieb Amerika stets fremdes Land in weiter Ferne.Lediglich Feininger besuchte seine unermüdliche Galeristin 1936 in ihrem Haus, bevor er ein Jahr später in die USA übersiedelte.Einige Fotografien aus seinem Nachlaß zeugen von diesem Besuch, der Rest sind Briefe und Widmungen."Mythischer Kopf: Galka" betitelte Jawlensky eines seiner leuchtenden Frauenporträts, ein anderes trägt ihre Initialen.Paul Klee bastelte eine vogelartige Handpuppe aus Gips und Nußschalen als unmißverständlich ironischer Seitenhieb auf die Sammlerin, deren Kosename "Galka" das russische Wort für Dohle ist - schwatzhaft, eifrig und stets um Publicity für ihre Schützlinge bemüht war die Promoterin der europäischen Avantgarde in der Tat. Doch auch untereinander pflegten die Maler regen Kontakt, bedachten einander mit gemalten Präsenten, mit Geburtstagsbildern, oder tauschten Arbeiten aus.Die Hängung der fast 160, ausgesprochen qualitätvollen Werke, die die Reise in die Neue Welt antraten, berücksichtigt diese Verbindungslinien aus wechselseitiger Inspiration und latenter Konkurrenz.Doch irgendwie war man stets zu falscher Zeit am falschen Ort.So künden die geometrischen Kompositionen Kandinskys, die kubisch abstrahierten Landschaften Feiningers, die fragilen Zeichnungen Klees, die mythischen Ikonen Jawlenskys von einer Moderne, die diesseits des Atlantiks als "entartet", im sonnigen Kalifornien hingegen als zu europäisch ernst galten, um so richtig populär zu werden.Die jetzige Wiedervereinigung der Klassiker dürfte allerdings auch in bezug auf die erwarteten Besucherzahlen ein sicheres Erfolgsrezept sein, das den Malern jene Aufmerksamkeit einbringt, die ihnen zu Lebzeiten selbst Galka Scheyer nicht verschaffen konnte. Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, bis 28.Juni.Katalog (DuMont Verlag) 45 DM.

VANESSA MÜLLER

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