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Lichteffekte. Lesser Urys Ansicht von „London im Nebel“ (1926) zählte zu den begehrten Bildern des Abends.

© Villa Grisebach

Villa Grisebach: Rückwärts gehen

Große Namen, kleine Sensationen: Die Herbstauktionen der Villa Grisebach.

Wozu noch nach Paris fahren, wenn man ein Bild von Lesser Ury besitzt? Eines wie „Berliner Straße im Vorfrühling“, das die Trottoirs der eigenen Stadt impressionistisch verzaubert. Mindestens 30 000 Euro wollte die Villa Grisebach für das Pastell aus den 20er Jahren haben, am Ende wurden es 75 000. Und es gab mehr davon: 15 Werke von Ury bot das Berliner Auktionshaus während seiner Herbstauktionen aus einer Hamburger Privatsammlung an. Winzig kleine Stadtszenen, von eine am unteren Limit von 20 000 Euro blieb, während die andere rasch über die obere Taxe von 30 000 Euro schoss. Und große, delikate Formate wie „London im Nebel“ (1926), für das bei 225 000 Euro (Taxe: 150 000-200 000) schon der Hammer fallen sollte. Da mischte sich ein Telefonbieter ein und ließ die Vedute in Blau auf 370 000 Euro steigen.

Ähnlich begehrt war der „Hauptbahnhof Bülowstraße bei Nacht“ (1922), den gelbe Autolichter in ein diffuses Licht tauchen. Ab 183 000 Euro überboten sich die Konkurrenten im Saal um jeweils nur tausend Euro, was Auktionator Peter Graf zu Eltz launig kommentierte: „Solange wir nicht rückwärts gehen...“ Seine Sorge war unbegründet und das Ölgemälde am Ende 270 000 Euro (Taxe: 100 000-150 000) wert. Ins Stolpern geriet der Abend allerdings im Übergang zu den „Ausgewählten Werken“. Gleich drei Lose – eine etwas blasse Monotypie von Edgar Degas, die Skulptur von Renée Sintenis und ein Gemälde von Maurice de Vlaminck – gingen zurück. Erst die kleine Skulptur „Der Dorfgeiger“ von Ernst Barlach brachte erneut Schwung in die Auktion, als sie von 30 000 Euro auf das knapp Dreifache stieg. Ein ausgezeichnetes Ergebnis, das bloß der Maler Willi Geiger zu überbieten vermochte: Sein Großformat „Der Blinde“ war auf höchstens 15 000 Euro geschätzt und kletterte in kurzer Zeit auf 102 000 Euro.

Weniger erfolgreich verlief der Abend für Emil Nolde, von dem acht Aquarelle und ein Gemälde unter den Losen waren. Ein Überangebot, das zugleich die Schwächen der 179. Auktion offenbarte: Hinter den großen Namen verbargen sich mehrfach keine großen Werke. So erreichte „Dream“ von Max Beckmann, ein Frauenakt von 1944, mit 340 000 Euro knapp die obere Taxe, während „Kleines Varieté“ vom selben Künstler zurückging, weil niemand am unteren Limit von 800 000 Euro bieten wollte. Noldes „Landschaft (mit ruhenden Kühen)“ erzielte immerhin 850 000 Euro, entwickelte sich aber nicht wie erhofft zum teuersten Bild des Abends. Ein Zeichen dafür, dass der Markt in diesem Segment noch immer empfindlich reagiert und die Sammler für ihr Geld nur Bestes wollen.

Dieselbe Erfahrung war am Nachmittag zuvor bei der Fotografie-Auktion zu machen. Hier hoben mehrere Saal- und Telefonbieter ein Vintageprint von Marianne Breslauer, das drei Mannequins in festlicher Rückenansicht zeigt, um mehr als das Sechsfache. Ein Schweizer Sammler erhielt den Zuschlag für das hochelegante Modefoto von 1932 bei 6500 Euro. Steigerungen wie diese waren jedoch selten, die meisten zugeschlagenen Lose blieben im Rahmen ihrer Schätzpreise. 137 von 195 Losen konnten verkauft werden. Der Bruttoumsatz betrug 512 000 Euro, was einer wertmäßigen Verkaufsquote von 113 Prozent entspricht.

Realismus statt Spekulationslust kennzeichnete die Berliner Offerte – auch bei der zeitgenössischen Fotografie. Den höchsten Preis erzielte Hiroshi Sugimotos Kinobild „U. A. Rivoli, New York“ von 1978 in einem späteren Abzug, das für 32 000 Euro (Taxe: 20 000– 25 000 Euro) einer Saalbieterin zugeschlagen wurde. Dieter Blums „American Adventure I“ im großen C-Print von 1998 geht für 13 000 Euro in eine westdeutsche Sammlung. Die beiden Cowboys aus der Zigarettenwerbung waren bis 18 000 Euro geschätzt. Im Boomjahr 2007 hatte die Villa Grisebach mit einem großformatigen Unikat aus der Marlboro-Serie den Rekordpreis von 81 000 Euro erzielt.

Revolutionäres bot der Blick zurück. Horst von Harbou, der Bruder der Drehbuchautorin Thea von Harbou, fotografierte 1925/26 am Filmset von Fritz Langs Filmklassiker „Metropolis“. Die 36 kulturhistorisch wie fotoästhetisch hochinteressanten Vintages aus dem Nachlass von Brigitte Helm, der weiblichen Hauptdarstellerin, wurden einem Telefonbieter zum unteren Schätzpreis von 5000 Euro zugeschlagen. Berliner Museen und Institutionen haben offenbar nicht mitgeboten.

Dass der internationale Markt für klassische Fotografie etwas für Spezialisten ist, zeigte das Bietgefecht um das wunderbar kontrastreiche Vintage „Building, New York, 1932“ des hierzulande wenig bekannten Edward Quigley: Zwei Telefonbieter hoben die Ikone der stolzen Stadt von 1200 auf 4400 Euro. Ein Gruß nach New York. Und verdiente Entspannung im Saal.

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