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Erst nachdenken, dann spielen. Michael Barenboim, 1985 in Paris geboren, studierte zunächst an der Sorbonne.

© Janine Escher

Violinist Michael Barenboim: Viersaitig bleiben!

Mehr als seines Vaters Sohn: eine Begegnung mit dem Geigenvirtuosen Michael Barenboim, der seine erste Solo-CD mit Werken von Bach, Bartók und Boulez aufgenommen hat.

Das Anspruchsvolle, das Komplexe hat ihn schon immer fasziniert. Nach dem Abitur, das Michael Barenboim am Französischen Gymnasium in Berlin abgelegt hat, ging er nach Paris, um an der Sorbonne Philosophie zu studieren. Obwohl er sich doch auch auf der Geige als höchst talentiert gezeigt hatte und schon mehrere Jahre im West-Eastern Divan Orchestra mitwirkte, das sein Vater 1999 zusammen mit dem Literaturwissenschaftler Edward Said gegründet hatte. Doch die Welt der Bücher – die er aus Überzeugung nur in Papierform liest – war ihm genauso wichtig. Und es lockte ihn, sich Wege durch die Ideengebäude der großen Denker zu bahnen.

Nach zwei Jahren allerdings musste Michael Barenboim sich eingestehen, dass ihm die Musik am nächsten ist und es ihn unglücklich machen würde, sie nur nebenbei zu betreiben. Also ging er zurück nach Deutschland, zu Axel Wilczok, einem der Konzertmeister der Berliner Staatskapelle, der an der Rostocker Musikhochschule unterrichtet. Das Interesse an Sachverhalten jedoch, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen, behielt Michael Barenboim auch nach der Entscheidung für die Interpreten-Karriere bei. Und so hat der 31-Jährige für seine Debüt-CD nun ein Programm zusammengestellt, wie es sich anspruchsvoller kaum denken lässt. Ganz allein bestreitet er 78 Minuten, mit Solo-Werken für Geige, die nicht nur technisch höllisch schwer sind, sondern auch ein Maximum an Konzentrationswillen verlangen, fast schon an mönchische Exerzitien erinnern.

Ausdrucksspektrum der Geige erweitern

Im Gespräch formuliert er es bescheidener: „Ich wollte zeigen, was auf vier Saiten alles möglich ist.“ Ehrensache, dass er den Booklet-Text für die CD selber verfasst hat. Die Sonaten und Partiten von Johann Sebastian Bach, diesem „abenteuerlichen Kontrapunktmeister“, spielt Michael Barenboim, seit er denken kann. Für das Album wählte er das anspruchsvollste der sechs Stück aus, die C-Dur-Sonate mit der mehrstimmigen Fuge, bei der Bach „keinerlei Rücksichten auf die spieltechnischen Schwierigkeiten“ nimmt.

Als Béla Bartók erlebte, wie Yehudi Menuhin die barocken Solowerke spielte, entschloss er sich 1944, selber eine Sonate zu schreiben. Auch hier gibt es eine vierstimmige Fuge, wird „die Spielbarkeit bis zum Maximum ausgereizt“, wie Barenboim junior erläutert. Pierre Boulez wiederum suchte 1992 für „Anthèmes“ nach Möglichkeiten, das traditionelle Ausdrucksspektrum der Geige zu erweitern – und entwickelte in seinem Pariser Experimentalstudio IRCAM fünf Jahre später eine Version, bei der die Geige „von Live-Elektronik umspielt wird, die das musikalische Material multiplizieren soll“.

Die Zeit ist reif für eine Aufnahme

Den Grandseigneur der zeitgenössischen französischen Musik hat Michael Barenboim schon als Teenager kennengelernt. Das gehört zu den Privilegien, wenn man der Sohn eines Weltstars ist. Daniel Barenboims Ältester wusste diese Chance auch zu nutzen: Er erarbeitete sich Kompositionen von Boulez und bat den Meister um seine Meinung. „In dem Moment, als ich ihm vorzuspielen begann, war es plötzlich völlig egal, dass wir uns privat kannten“, erzählt er. „Da waren wir einfach zwei Künstler, die miteinander arbeiten.“

Und weil Pierre Boulez nicht nur ein Kopfmensch war, sondern auch ein charismatischer Kommunikator, riet er dem jungen Geiger: „Du musst versuchen, es theatralischer zu gestalten, freier zu spielen!“ Viele Male hat Barenboim „Anthèmes“ in den vergangenen zehn Jahren aufgeführt, in der instrumentalen Urfassung wie in der Version mit Elektronik. Jetzt war die Zeit reif für eine Aufnahme, als Resümee seiner bisherigen Anstrengungen.

Die aber nicht nur im Elfenbeinturm stattfanden. Michael Barenboim ist vielseitig, stilistisch wie auch in Bezug auf die Auftrittsformen. „Erst wenn man Paganini gespielt hat, sollte man sich an Bartók versuchen“, findet er. Und betont, dass es allen, die die großen Violinkonzerte interpretieren, durchaus hilft, wenn sie Orchestererfahrung gesammelt und Kammermusik gemacht haben.

Kein Virtuosenflirt mit dem Publikum

Michael Barenboim hat dafür das „Erlenbusch Quartett“ gegründet, tritt regelmäßig bei den zwei Festivals auf, die seine Mutter Elena Bashkirova gegründet hat, dem Jerusalem International Chamber Music Festival sowie den „Intonations“ im Jüdischen Museum Berlin, und spielt mit seiner Ehefrau, der Pianistin Natalia Pegarkova, klassisch-romantisches Repertoire. In der kommenden Saison wird er mit Arnold Schönbergs Violinkonzert bei den Berliner Philharmonikern debütieren. An der Barenboim-Said Akademie schließlich unterrichtet er als Leiter der Kammermusik-Abteilung die jungen arabischen und israelischen Stipendiaten.

Michael Barenboim ist ein offener, reflektierter Gesprächspartner, spürbar gereift in jüngster Zeit, vielleicht auch durch die Gründung einer eigenen Familie. Wenn er die Bühne betritt, wirkt er oft schüchtern und verschlossen, ja geradezu stoisch. Die große Geste, der Virtuosenflirt mit dem Publikum sind seine Sache nicht. Dafür ist er dann doch zu sehr Philosoph.

Die CD ist beim Label Accentus erschienen. Am heutigen Freitag spielt Michael Barenboim die Werke der CD im Pierre Boulez Saal (ausverkauft).

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