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Kultur: Virtueller Reichstag: "Hier baut das Volk"

Hermann Josef Hack und Hans Haacke haben eins gemeinsam: sie machen Kunst im Reichstag - vor allem auch virtuell: Hans Haacke überträgt mit einer Webcam ins Internet, wie sich der Trog im nördlichen Lichthof des Reichstags, den er "der Bevölkerung" gewidmet hat, mit Erde aus allen Wahlkreisen füllt. Zweimal täglich werden die Bilder aktualisiert.

Hermann Josef Hack und Hans Haacke haben eins gemeinsam: sie machen Kunst im Reichstag - vor allem auch virtuell: Hans Haacke überträgt mit einer Webcam ins Internet, wie sich der Trog im nördlichen Lichthof des Reichstags, den er "der Bevölkerung" gewidmet hat, mit Erde aus allen Wahlkreisen füllt. Zweimal täglich werden die Bilder aktualisiert. Sie zeigen, das Projekt geht zögerlich voran; erst wenige Abgeordnete haben einen Zentner Heimaterde in den 21 mal 7 Meter großen Kasten geschüttet.

"Viele, gerade die Internet-Generation, können mit dem Haacke-Kunstwerk nichts anfangen." Hermann Josef Hack möchte lieber volksnahe Kunst machen. Am Donnerstag wird er seinen "Tower of Power" der Öffentlichkeit übergeben. Über dem Reichstag soll er entstehen. Keine architektonische Glanzleistung, denn das Hochhaus existiert nur in der Vorstellung seiner Bewohner - und im Internet. "Hier baut das Volk", heißt es zur Zeit noch auf der Netzbaustelle der neuen Machtzentrale, im Internet zu finden unter metropolis.de.

"Im Cyberspace gibt es keine Bannmeile", sagt Künstler Hack. Im virtuellen Hochhaus können sich alle Internet-Bürger kostenlos einmieten und "den Politikern über die Schulter schauen, auch wenn das denen vielleicht gar nicht recht ist." Nicht einmal die Kunst bringe, so Hack, noch neue Impulse in die abgeschottete Welt der Entscheidungsträger, da sie auf Dauer angekauft werde.

Mit dem Kunstwerk im Cyberspace über dem Reichstag soll es vorbei sein mit der Isolation: Im nachbarschaftlichen Plausch sagt die Internet-Gemeinde den Politikern die Meinung. Einige Parlamentarier sollen, so Hack, schon zugesagt haben, an den geplanten Online-Chats teilzunehmen. Darunter Rainer Eppelmann, Monika Griefahn und Cem Özdemir. Auch das Interesse der Netz-Gemeinde an mehr Demokratie ist groß: "Schon seit mehreren Wochen erhalte ich E-Mails mit Anfragen, wie man sich ein Zimmer nehmen kann", sagt Hack, der sich gerne als "Ultimedia-Künstler" bezeichnet.

Der aus Bad Honnef stammende Hack hat schon in anderen Projekten Möglichkeiten gesucht, mit Hilfe des Internets "Kunst für alle" zu machen. Bei "Menschen im Netz" konnten sich die User an der Entstehung eines Bildes beteiligen, in der Aktion "Virtuelles Dach" verkaufte Hack den Himmel über verschiedenen Großstädten und schuf kostenlose Internetzugänge für Arbeits- und Obdachlose. Bekannt wurde auch sein "Arme-Socken-Teppich", ein Kunstwerk aus den Strümpfen tausender Arbeitsloser, über den Gerhard Schröder 1998 zur Wahlurne ging.

Wird der Kanzler demnächst auch im Chat des Tower-of-Power anzutreffen sein? "Er hat noch nicht reagiert", sagt Hack. Aber ob die Politiker das Angebot zur Diskussion mit dem Wahlvolk annehmen, ist ihm eigentlich egal: "Die Wähler sollen den Politikern auf die Pelle rücken und sagen können, was ihnen nicht passt."

Claudia Wessling

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