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Kultur: Vitra Design Museum: Renaissance der Fabrikarchitektur

Das spitzbögige Doppelportal an der Sonnenburger Straße in Prenzlauer Berg scheint in eine Klosteranlage zu führen. Schmucklose Fassaden mit strengen Proportionen, wenige, recht schmale Fenster und ein massiver Rundbau im Innenhof der vierflügeligen Gebäudeanlage verbreiten die atmosphärische Gravitation baltischer Backsteingotik.

Das spitzbögige Doppelportal an der Sonnenburger Straße in Prenzlauer Berg scheint in eine Klosteranlage zu führen. Schmucklose Fassaden mit strengen Proportionen, wenige, recht schmale Fenster und ein massiver Rundbau im Innenhof der vierflügeligen Gebäudeanlage verbreiten die atmosphärische Gravitation baltischer Backsteingotik. Hier hat am 1. Juli das Vitra Design Museum eine Dependance eröffnet. Das Mutterhaus am Vitra-Hauptsitz Weil am Rhein im äußersten Südwesten Deutschlands residiert seit 1989 in einem spektakulären Bau von Frank O. Gehry und hat sich für seine erste externe Museumsfiliale in Berlin ein nicht minder beeindruckendes Gebäude ausgesucht: das ehemalige Umspannwerk "Humboldt" der Bewag.

Die Anlage liegt westlich der Schönhauser Allee an der Ecke Kopenhagener / Sonnenburger Straße und gehört zu einer Reihe von Industriebauten, die der Bewag-Hausarchitekt Hans Heinrich Müller in den Jahren von 1924 bis 1930 im gesamten Berliner Stadtgebiet errichtete. In seinen Industriebauten verband Müller Gestaltungswillen und funktionale Anforderungen auf eine Weise, die aus den eigentlich profanen Anlagen der Stromversorgung architektonische Solitäre im Stadtraum werden ließ. Die Stahlskelettbauten sind von roten Backsteinfassaden ummantelt und heben sich von ihrer Umgebung, meist innerstädtische Gründerzeit-Quartiere, auch durch ihre fast sakrale Aura ab, die von der schieren Größe noch verstärkt wird.

Der Wiederentdeckung alter Fabrikarchitektur gingen zunächst die schmerzhaften Jahre der Deindustrialisierung voraus, die aus den kolossalen Gebäuden und Anlagen der Industriemoderne teure Entsorgungsfälle werden ließen. Das klassisch Erhabene dieser gar nicht so alten Architektur blieb zunächst unter ihrer scheinbaren Nutzlosigkeit verborgen, doch inzwischen haben sich die Ansichten gewandelt. Die Ära der genormten Büro- und Geschäftshäuser scheint zumindest in Teilen vorüber. Der Leerstand in unzähligen standardisierten, gesichtslosen Businesstrakten deutet zumindest darauf hin. Die allmählich wiederbelebten Brachen ausgedienter Fabrikstandorte hingegen reüssieren überall als Standorte der Zukunftsbranchen Medien, Kommunikation und Kultur.

Auf diesen Trend setzt auch die Bewag, die einen Großteil ihrer alten Stromversorgungsanlagen für den eigenen Betrieb nicht mehr benötigt und nach Partnern und Investoren sucht, die sich in den Industriedenkmalen niederlassen. Deren Standortvorteile sind konkurrenzlos: mitten in der Stadt gelegen, verkehrsgünstig, solide, unaufwendig zu unterhaltende Gebäude, die von ihrer internen Struktur her nutzungsneutral sind. Sie sind für empfindliche Technologien ebenso geeignet wie für Kunstausstellungen, repräsentative Büros oder Fernsehstudios. Doch nicht zuletzt handelt es sich dabei um Gebäude, die neben Geschichte auch einen individuellen Charakter haben. So wundert es nicht, dass das Vitra Design Museum auch bei der Revitalisierung alter Industriearchitektur zur Avantgarde gehört.

Die zukünftige Hauptstadtadresse des Vitra Design Museums wird sich im Nordflügel des "Humboldt"-Umspannwerkes befinden: Kleine Büros für Leitung und Verwaltung des Museums grenzen an den eigentlichen Ausstellungsraum in der ehemaligen Transformatorenhalle im nördlichen Teil der Anlage an der Kopenhagener Straße. Die Halle erinnert nicht von ungefähr an ein Kirchenschiff. Sie ist gerade mal sieben Meter breit, aber 95 Meter lang und wird in ihrem Mittelteil von einem spitzgiebeligen Dach gekrönt. Ihre lange, kathedralenartige Flucht wird lediglich von einem kleinen, neu errichteten Eingangsbereich an der nördlichen Längsseite unterbrochen. Sonst wird der Blick lediglich an der östlichen Stirnseite abgelenkt. Dort hat sich der alte, gelb-schwarz gestrichene Deckenkran der Firma Becker aus dem Jahr 1925 behauptet. Er wird vom Hausmeister ab und an betätigt, weil der Denkmalschutz es so verlangt.

Durch die hohen, sehr schmalen Sprossenfenster an der von Risaliten akzentuierten Nordseite dringt die Sonne nur gedämpft herein und taucht das cremeweiß gekachelte Halleninnere in kreidiges Licht. Spektakulär ist freilich die Sicht auf den Innenhof des einstigen Umspannwerkes. Wie eine gedrungene, zylindrische Basilika steht das frühere Schaltwartengebäude im Zentrum des Ensembles, der Hof wird an den Längsseiten von spärlich gestalteten Fassaden und an Ost- und Westseite jeweils von den markanten doppelten Spitzbogentoren begrenzt.

Bislang ist das Vitra Design Museum der einzige neue Bewohner im alten Humboldt-Umspannwerk. Im südlichen Trakt befinden sich zwar noch Büros des Bewag-Netzbereiches Nord, doch gut 3700 Quadratmeter des Gebäudes stehen noch leer. Denn nach und nach füllen sich die ausgeweideten Berliner Backsteingebäude von Hans Heinrich Müller wieder mit Leben. Sei es der Sitz von MetaDesign im alten "Leibniz"-Umspannwerk in Charlottenburg, die RTL-Hauptstadtstudios in Mitte oder die bei Film, Presse und Fernsehen beliebte Hauptstadt-Party-Location im Umspannwerk am Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg: Es ist eine ganz besondere Art von Säkularisierung. In den Kathedralen des schwermetallenen Industriezeitalters wird um die Altäre der Zukunft getanzt.

Cornelia Dörries

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