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Kultur: Vögel statt Aluminium

Was bleibt, wenn alles verkauft wird: Andri Snaer Magnasons Buch „Traumland“

Dieses Buch endet mit zwei Sätzen, die das aktuelle Dilemma Islands treffend beschreiben. Der eine Satz lautet: „Im Oktober 2008 brach das isländische Finanzsystem zusammen. Manche Leute hoffen, dass die Finanzkrise einige der bedeutendsten Naturschätze Islands vor der Zerstörung bewahrt.“ Der andere macht diese Hoffnung gleich wieder zunichte. „Landsvirkjun hat angekündigt, seine Energieproduktion in den nächsten Wochen zu verdoppeln.“

Dass eine schwerwiegende Finanzkrise eines Tages vielleicht von ökologischen Nutzen sein könnte, ahnte der 1973 geborene isländische Schriftsteller Andri Snaer Magnason nicht, als er 2005 an seinem Buch „Traumland. Was bleibt, wenn alles verkauft wird“ schrieb, das ein Jahr darauf veröffentlicht wurde und jetzt pünktlich zum Gastlandauftritt Islands auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse auch auf Deutsch vorliegt. Vielmehr trieb Magnason um, wie auf Island die Natur zugunsten neuer Wasserkraftwerke und Aluminiumproduktionsstätten verändert oder gleich ganz geopfert wird. Und wie die Insel im Nordatlantik zwar einerseits für ihre Vulkane und Gletscher allseits gerühmt und von Touristen aus aller Welt aufgesucht wird. Sie andererseits aber meint, in diesem Fall vor allem die verantwortliche Politik, wirtschaftlich immer weiter vorankommen zu müssen, koste es Naturschätze und Naturreservate, was es wolle.

Magnason, der bislang einen Gedichtband mit sogenannten Supermarktgedichten, einen Science-Fiction-Roman und ein Kinderbuch veröffentlicht hat, beschäftigt sich in „Traumland“ viel mit der Rhetorik von Politik und Wirtschaft: Wie mit der Sprache das Bewusstsein verändert wird, wie allein Wörter und Formeln wie „Wirtschaftswachstum“, „Arbeitsplatzbeschaffung“, „Arbeitsplatzsicherung“ oder „keine Alternative haben“ zu Totschlagargumenten werden. Und das ist nicht nur bei neuen Industrieansiedlungen so, sondern zeigte sich auf Island auch bei dem scheinbar ewigen Konflikt um den amerikanischen Luftwaffenstützpunkt Keflavik. Dessen Einrichtung war 1951 genauso umstritten wie seine Schließung über fünfzehn Jahre nach Ende des Kalten Krieges im Jahr 2006.

„Wenn die Nuancen unserer Sprache eingeebnet werden, wird es schwierig, präzise zu urteilen und feine Unterschiede zu benennen“, schreibt Magnason und schlussfolgert: „Entweder ist man für Elektrizität oder dagegen“ (...) Man ist für jedes Wasserkraft-Projekt oder gegen alle, für die Aluminiumherstellung oder dagegen“. Und dann legt er dar, dass in einem 300 000 Einwohner zählenden Land mit 150 000 bis 180 000 Arbeitnehmern gerade einmal 800 Menschen in der von der Politik stets so gerühmten, für das Vorankommen Islands vermeintlich unabkömmlichen Schwerindustrie wie der Aluminiumherstellung arbeiten. Dass mit der Energie, die allein das inzwischen dritte Aluminiumwerk im Osten des Landes benötigt und von einem zusätzlich dafür errichteten Wasserkraftwerk bekommt (für das wiederum Europas größter Staudamm errichtet, Gletscherflüsse und Wasserfälle trockengelegt und viel Land geflutet wurde), Islands Privathaushalte allesamt gleich sechsmal versorgt werden können.

Andri Snaer Magnason überzeugt immer dann, wenn er Zahlen vorlegt, wenn er versucht, hinter den Sinn und Unsinn der industriellen Ansiedlungen zu kommen, wenn er sein Recherchematerial ausbreitet und dafür auch die jüngere Historie Islands seit dem Zweiten Weltkrieg bemüht, wenn er polemisiert. Etwas verplaudert und schwafelig wird „Traumland“ in Kapiteln, in denen Magnason Adam, Eva und den Sündenfall als Vergleich heranzieht, er vom Bau der Pyramiden oder von vergleichbaren Fällen auf Jamaika oder in Japan erzählt. Oder er überhaupt vorschlägt, auf die eigene Urteilskraft, die eigenen Ideen, die eigene Kreativität zu vertrauen. Das ist dann nicht mehr als die gute, alte, psychologische Klippschule.

So ein ganz unbedarfter Träumer, wie der Titel seines Buches und das naive Gedicht am Ende (das Traumland, „wo die Blumenwiese duftet und die Vögel lieblich singen“) vermuten lassen, ist Andri Snaer Magnason dann aber auch wieder nicht: „Die Fischfangfirmen im Osten florieren, und Island hat ausgebildete Biotechnologen, Chemiker, Lebensmitteltechniker und Manager, die den Wert des gefangenen Kabeljaus oder Kapelins noch verdoppeln können.“ Oder er empfiehlt: „Wenn ein Teil der Touristen hierher (in den Osten des Landes) umgeleitet würde, würde sich der wirtschaftliche Segen gleichmäßiger übers Land verteilen. Was hindert uns daran in alle ländlichen Regionen zu investieren? 50 000 Touristen bringen mindestens 1000 Arbeitsplätze. Dieses Szenario bietet mehr und außerdem verschiedenartigere Jobs als 200 000 Tonnen Aluminium.“

„Traumland“ ist Öko-Kampfschrift, Polit-, Wirtschafts- und Sprachanalyse, Polemik und ein bisschen Träumerei zugleich. Aktuell ist es heute noch, fünf Jahre nach der Erstveröffentlichung, zweieinhalb Jahre nach der großen, Island durch und durch erschütternden Banken- und Finanzkrise. Denn zum einen zeigt Magnasons Buch exemplarisch, dass Island seit Jahren nicht nur touristischer Sehnsuchtsort ist, sondern hier planmäßig Schindluder mit der Natur getrieben wird.

Zum anderen hat der Finanzcrash zwar unter anderem dazu geführt, dass der Bau zweier weiterer Aluminiumwerke tatsächlich ins Stocken geraten ist. Doch wie die oben zitierte Ankündigung des Energieunternehmens Landsvirkjun dokumentiert: Der Kampf um die Natur geht weiter. Schließlich muss die Wirtschaft gerade jetzt, wo doch alles daniederliegt, wieder angekurbelt werden, muss sie wieder ordentlich „wachsen“. Träumer und Naturschützer haben es in solchen Zeiten bekanntlich schwerer als ohnehin schon.

Andri Snaer Magnason: Traumland. Was bleibt, wenn alles verkauft wird. Deutsch von Stefanie Fahrner. Verlag Orange Press, Freiburg 2011.

288 Seiten, 20 €.

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