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Kultur: Vögel und Söhne

„Clouds after Cranach“: William Forsythe vollendet in Frankfurt seine Tanz-Trilogie „Three Atmospheric Studies“

Sich treu bleiben kann, unter Umständen, Verrat sein an sich selbst. Viele große Künstler haben das gewusst. Auch der Choreograf William Forsythe hält sich an diese Maxime. Schrilles, Musical-Bonbonbuntes und spielerisch Vertracktes gab es, als er begann, das Terrain des Tanzes neu zu vermessen. Er hat seinem Publikum strenge Exerzitien zugemutet und es mit hellen, eleganten Rätseln verzaubert. Immer filigraner buchstabierte er sein choreografisches Alphabet durch, bis es zu einer höchst individuellen und ausdrucksstarken, aber bedeutungsfreien Sprache ausgewachsen war. Und jeder glaubte: Das war’s jetzt.

War es nicht. Vielleicht ist es ein Reflex auf den 11. September – unübersehbar begnügt sich der Amerikaner Forsythe seit geraumer Zeit nicht mehr mit den abstrakten Rätselspielen, die zu seinem Markenzeichen zu erstarren drohten. In der Choreografie „Human Writes“ ging es zuletzt in Zürich um die andere Lesart dieses Titels, nämlich die Menschenrechte. Schon im Frühjahr hatte sich in (der erst zwei Teile umfassenden) Frankfurter Uraufführung von „Three Atmospheric Studies“ ein politischer William Forsythe präsentiert – mit einem bitterbösen Kommentar auf staatliche Wegseh-Strategien angesichts von Chaos, Terror und Paranoia.

Jetzt hat er in Frankfurt mit „Clouds after Cranach“ den dritten und letzten Teil der „Atmospheric Studies“ geliefert: eine berückend transparente, hochkomplexe Verklammerung von Abstraktion und konkreter Totenklage. Gewalt affiziert schon den stummen und erschreckend schönen Beginn, der noch wie reiner Tanz aussieht. Ein Passantenstrom, plötzlich angehalten wie unter Schock, der Auslöser bleibt unsichtbar. Wieder setzt sich das Menschengewimmel in Bewegung, man stößt einander, fällt zu Boden, streckt die Arme in Abwehr, läuft davon, birgt einander, nimmt in Schutz, und wieder: Stopp! Manchmal scheint ein Film rückwärts zu laufen; oft kommt die Aggression wie aus dem Nichts. Ganz nebenbei erhält Forsythes Bewegungssprache eine neue Bedeutung. Während früher die Impulse, die die Körper seiner Tänzer um nie zuvor gesehene Achsen in Bewegung setzen, aus ihnen selbst herauszukommen schienen, kommen sie jetzt von außen, als Einwirkung eines fremden, gewalttätigen Anderen.

Wie Zitate tauchen Einzelheiten dieser Körpersprache auch im zweiten Teil der knapp einstündigen Choreografie auf, der kaum mehr Tanz ist, eher ein Kammerspiel für drei Personen. Die Frau (Ione San Martin) diktiert auf Englisch einem Übersetzer ins Arabische (Amancio Gonzalez) die Klage über den Verlust ihres Sohnes. Von einem Bombenangriff ist die Rede, vom Rauch, der ihr die Tränen in die Augen trieb, so dass sie nicht mehr richtig sehen konnte, was mit ihrer Familie geschah. Polizei war da oder Militär; die Aussagen der Frau widersprechen sich. Sie steigert sich in schreiende Erregung, der Übersetzer bleibt ungerührt.

Die Bühne, jetzt rechts begrenzt von einem mit prachtvollen orientalischen Stoffen behängten Gestell, ist durchzogen von weißen Fäden, die schräge (Bild-)Flächen aus dem Raum schneiden oder einen perspektivischen Fluchtpunkt – die Flugbahn eines Projektils? – festlegen. In diesem Raum bewegt sich ein seltsamer Vermesser (David Kern), der nicht vorhandene Bilder, Figurenansichten, Farbverteilungen beschreibt. Diesen „compositions“ ordnet sich die Frau zu – „No, I am the mother in composition two“ (Ione San Martin spricht, als werde ein Tonband angehalten und wieder vorgespult). Währenddessen macht der Übersetzer aus den „Vögeln“ des Bildbeschreibers „Flugzeuge“ und redet der Frau ein, die Sache mit ihrem Sohn sei lediglich ein dummer Fehler gewesen, sonst nichts. So lautet denn auch die letzte Frage der Frau, resigniert: „What is ,nothing’?“

Auf dem Weg zum Ausgang, auch das ein Novum, löst William Forsythe noch das Rätsel um den Titel dieses Abends: Da hängt, neben einem Agenturfoto aus dem Irakkrieg, ein Golgatha-Bild mit der klagenden Maria von Lucas Cranach aus dem Jahr 1503.

„Three Atmospheric Studies“ sind vom 2. bis 4. Februar 2006 bei der „Spielzeit Europa“ in Berlin zu sehen.

Ruth Fühner

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