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Rainer Werner Fassbinder als Baal und Irmgard Paulis als Johanna.

© dpa

Volker Schlöndorffs "Baal" darf wieder gezeigt werden: Der Frauenverzehrer

Er ist wieder da, der Unruhegeist: Volker Schlöndorffs "Baal" ist endlich wieder zu sehen und erinnert daran, welchen Energie-Überschuss der deutsche Film einmal hatte.

Brecht war 20, als er „Baal“ schrieb, Fassbinder 24, als er ihn spielte. Als er sich diesen Baal nahm, um sich selbst zu spielen, einen Anarchisten der Worte und der Moral, einen Anti-Bürger und Anti-Künstler, einen Dichter, der den jungen, nackten Himmel besingt und das räudige Menschsein, in vulgären, zärtlichen Versen. Fassbinder hurt, säuft, schlägt und singt in diesem Film von 1969, man glaubt es kaum. Ein Totalverweigerer der bigotten deutschen Nachkriegsgesellschaft, ein ungeheurer Freigeist, der Frauen erst hörig macht und dann verstößt, der die schwangere Freundin quält und seinen Lover verrät, der liebt, was er tötet, und tötet, was er liebt, und am Ende im Wald verreckt, aus dem er kommt.

Ein schmutziger Mensch mit hässlicher Haut, Lederjacke und Kippe. „Man muss das Tier herauslassen / ans Sonnenlicht mit dem Tier“, sagt Baal. RWF ist ein Macho, ein Dreckskerl – und unwiderstehlich. Das mag an den roh gezimmerten, verblüffend klaren Brecht-Versen liegen, aber auch an der radikalen Ehrlichkeit der beiläufigen, unpathetischen Diktion, dem Wissen um die Haltlosigkeit der Welt und die eigene Vergeblichkeit. Ein Saufkumpan fragt, ob Baal an Gott glaubt. „Ich glaubte immer an mich“, antwortet der. „Aber man kann Atheist werden.“

Wer war dieser Fassbinder?

Wenn man noch einmal begreifen will, wer dieser Fassbinder war, der längst zum Fixstern im deutschen Kinohimmel aufgestiegen ist, in „Baal“ kann man es sehen. Verführung und Unterwerfung: So ähnlich hat auch Fassbinder seine Leute behandelt, Schauspieler, Geliebte, Mitarbeiter. Viele von ihnen sind dabei, die blutjunge, wunderschöne Margarethe von Trotta als Sophie, Dietrich Lohmann als Kameramann, Hanna Schygulla, Irm Hermann, Günther Kaufmann, Eva Pampuch und etliche andere spätere Fassbinder-Stars. Schlöndorff war 30, als er „Baal“ drehte. Ein Etablierter unter Deutschlands jungen Regisseuren, der bei Louis Malle, Resnais und Melville in Frankreich gelernt und 1966 mit „Der junge Törless“ in Cannes Furore gemacht hatte. Aber er steckte in einer Schaffenskrise, so erzählt er es heute, kurz vor seinem 75. Geburtstag am 31. März. In einem „tiefen Loch“, wie er im Interview in der DVD-Edition der restaurierten Fassung sagt. Seine US-Produktion „Michael Kohlhaas“ war gescheitert, Schlöndorff haderte mit seinem Werk, wollte von vorne anfangen, mit 16 Millimeter und Kamera auf der Schulter. Baal ist auch das Dokument der Selbstbefreiung eines Filmemachers, der nicht zum engen Kern der Oberhausener Kino-Rebellen gehörte und seine Arbeit immer auch als die eines Handwerkers verstand.

Aufbruch lag in der Luft. Schlöndorff hatte 1968 den Pariser Mai erlebt und zunächst an Daniel Cohn-Bendit als Hauptdarsteller gedacht. Die Urfassung des Stücks stammt von 1918, vom Vorabend der wilden Zwanziger und der Weimarer Republik. Brecht war Schlöndorffs Idol, seit er in Berlin noch vor dem Mauerbau allabendlich durchs Brandenburger Tor zum Berliner Ensemble geeilt war und daraufhin dessen Stücke verschlang. Besonders liebte er die roh gezimmerte, noch unideologische erste „Baal“-Fassung, diese „wilde Behauptung“ (Schlöndorff), die er fürs Fernsehen als „poetische Dokumentation“ adaptieren wollte. Das Theaterstück hat er bis heute nie auf der Bühne gesehen.

Baal musste ein Heutiger sein.

Sigi Graue als Ekart und Rainer Werner Fassbinder als Baal.
Die Schauspieler Sigi Graue als Ekart und Rainer Werner Fassbinder als Baal in einer undatierten Filmszene des Kinofilms "Baal".

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1918/1968: Für Schlöndorff stand fest, dass Baal ein Heutiger sein müsse. Er lebte gerade in München, hatte Fassbinder beim Antiteater und in „Liebe ist kälter als der Tod“ erlebt – da war die Cohn-Bendit-Idee schnell verworfen. Er, der Solide, wollte von RWF die Freiheit lernen, umgekehrt nutzte der Autodidakt Fassbinder die Gelegenheit, um sich vom Profi Schlöndorff einiges abzugucken. Nicht Berlin, München war die Hauptstadt der Kreativen. Man drehte in Spelunken, auf Schrottplätzen, in der Gosse, im Maisfeld, in den Isarauen. Im Vorwort zur ARD-Ausstrahlung im April 1970 nannte Joachim Kaiser „Baal“ einen „Hymnus auf die Geschöpflichkeit“. Baal hat den „Ernst aller Tiere“, schrieb Schlöndorff. Vielleicht ist deshalb die zweite der 24 durchnummerierten Szenen die schwächste des Films. Baal im Salon seines Industriellen-Mäzens, in Gesellschaft von Intellektuellen, Neureichen, Adabeis – so mag es zugegangen sein, wenn die Bürgerlichen Fassbinder hofierten. Aber die Episode erschöpft sich in ihrer karikierenden Absicht.

"Baal" kündet vom rebellischen Willen einer Generation

Alle anderen Szenen sprengen den Rahmen mit ihrer schieren Kreatürlichkeit. „Baal“ kündet von der Selbstbefreiung auch der Bilder, vom rebellischen Willen einer Generation, die gleichwohl in den Schatten der deutschen Vergangenheit feststeckte. Von der Unbehaustheit der 68er. Und von der Unmöglichkeit, sich mit der Arbeiterklasse zu verbünden: Die Holzfäller und Fuhrmänner, denen Baal seine Trinker-Balladen zum Besten gibt, halten ihn für einen Taugenichts.

Der Rest ist bekannt, seit „Baal“ 44 Jahre nach seiner Entstehung auf der diesjährigen Berlinale erneut Premiere feierte. Brechts Witwe Helene Weigel belegte den Film nach seiner TV-Ausstrahlung 1970 zur besten Sendezeit – gleich nach Robert Lembkes beliebter Quizsendung „Was bin ich?“ – mit einem Aufführungsverbot. Dieser Anarcho-„Baal“ stieß nicht nur beim westdeutschen Primetime-Publikum auf Empörung, er war auch mit dem sozialistischen Brecht-Bild nicht vereinbar. Dass Schlöndorff die Verse von Klaus Doldinger neu vertonen ließ, statt die Eisler-Lieder zu nehmen, passte Weigel wohl auch nicht. Die späteren Erben erlaubten nur Einzelaufführungen, etwa bei einer Retrospektive in San Sebastian. Erst Juliane Lorenz, Chefin der Fassbinder Foundation, konnte jetzt eine generelle Freigabe bewirken.

So ist er wieder da, Baal, der Unruhegeist. Er erinnert daran, welchen Energie-Überschuss der deutsche Film einmal hatte – weil er um die eigene Verlorenheit wusste. Die redlichen Filme von heute sind immer in bester Gesellschaft.
In Berlin im b-ware! ladenkino, Babylon Kreuzberg, Babylon Mitte, Cinema Paris, FaF und Xenon. Am Sonnabend, 22.3., stellt Schlöndorff „Baal“ im Babylon-Mitte vor (20 Uhr). Die DVD der restaurierten Fassung mit ausführlichem Bonus-Material erscheint in der Zweitausendeins-Edition „Der deutsche Film“.

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