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In der Volksbühne spielt Kurt Krömer einen Steinzeitmensch mit dem Künstlernamen Johnny Chicago, der angeblich 10 000 Jahre alt ist.

© dpa

Volksbühne: Die Wrackbratze

In einem „Spiel in sechs Aufzügen, fünf Werbepausen und fünf Einspielern“ gibt Kurt Krömer einen Steinzeitmenschen. Zu sehen ist das Stück „Johnny Chicago“ in der Volksbühne.

Talkshows sind, manchmal jedenfalls, großes Theater. Wo die Worte enden, fängt das Drama an. Da werden ausfallend gewordene Meinungs-Kombattanten des Platzes verwiesen, andere reißen sich selbst wutentbrannt ihr Mikro mitsamt Verkabelung vom Leib und rauschen davon. Es wurden sogar schon Minister mit Farbe beschossen. Ein Theater hingegen in eine Talkshow zu verwandeln, erscheint nicht unbedingt als zwingende Idee. Gerede an sich ist noch nicht theatralisch, außerdem hat der Zuschauer davon schon genug zuhause in seinem Fernsehkasten.

So gesehen ist es also a) hirnrissig, b) ranschmeißerisch oder c) mutig, dass Frank Castorf den Großen Saal seiner Volksbühne nun dem Krawallkomiker Kurt Krömer zur Verfügung stellt, von dem er bei einem Besuch in dessen ARD- Anti-Talkshow „Krömer“ begeistert war. Krömer wurde als Neuköllner „Kackbratze“ berühmt, scheiterte zwar als Schauspieler schon einmal vor drei Jahren in der Schaubühnen-Komödie „Room Service“, berlinert aber heftig und dürfte Castorfs Vorstellungen von einem Volkstheaterstar neuen Typs recht nahe kommen. Das Stück, in dem Krömer auftritt, trägt den Gaga-Titel „Johnny Chicago“, geschrieben hat es der mit ihm befreundete Schriftsteller und Lesebühnen-Veteran Jakob Hein und inszeniert der Filmregisseur Jochen Alexander Freydank, der im letzten Jahr für seinen Kurzfilm „Spielzeugland“ einen Oscar bekam.

Ein Theaterstück ist dieses zweistündige „Spiel in sechs Aufzügen, fünf Werbepausen und fünf Einspielern“ nicht, allenfalls eine Posse, eher eine Nummernrevue. Und mitunter ein ziemlich großer Spaß. Die Grundkonstellation erinnert an „Krömer“, nur dass Krömer hier nicht Moderator, sondern Gast ist. Als Steinzeitmensch mit dem selbst ausgewählten Künstlernamen Johnny Chicago, angeblich 10 000, er selber behauptet: nur 8000 Jahre alt, ist er in der Trashtalkshow „Ihre Stars von gestern“ am Ende der medialen Verwertungskette angekommen, dort wo die bereits in allen erdenklichen anderen Formaten verwursteten Kandidaten „als Fernseh-Restabfälle vor die Studiotür gekippt“ werden. Seine Geschichte war mal toll, jetzt ist er bloß noch ein D-Promi.

Johnny läuft im Fellumhang und auf allen vieren auf die Bühne, hüpft wie Tom Cruise bei Oprah Winfrey über das Talksofa, wütet und wiehert, dann reißt er das Fell herunter und steht in gold glitzernder Billig-Entertainer-Uniform mit Bügelfalte da. Affe? Nö, ein Mensch. Aber als Primat prima. An die Steinzeit des Privatfernsehens der achtziger Jahre mit Sendungen des RTL- und Sat1-Mittelpaläolithikums wie „Ilona Christen“ oder „Der heiße Stuhl“ erinnert immerhin das Bühnenbild (Tom Hornig) mit seinem kargen Gesprächsecke und den sinnlos vor sich hinflimmernden Fernsehern.

Den Moderator spielt Jakob Hein selbst. Er quasselt seine Einsätze immer wieder so in die Schlussakkorde der vierköpfigen Studioband hinein, dass sie nicht zu verstehen sind. Und für den zynischen, koksenden, den Gast erst umschleimenden, dann verhöhnenden Fernsehfuzzi ist er einfach nicht schmierig genug. Die Volksbühne gilt bereits als Theater-Videothek, weil sich dort die Schauspieler gerne gegenseitig filmen. Bei „Johnny Chicago“ fährt nun umgekehrt bei „Einspielfilmen“ eine Leinwand hoch, und Krömer und Nebendarsteller-Allzweckwaffe Inka Löwendorf spielen Szenen aus der bewegten Vita des Zeitreisenden nach, von der Weinprämierung mit Jesus bis zur Rasur Hitlers. Als Johnny anfangs nach dem Genuss von „drei Halben, drei Kurzen und einem Herrengedeck“ – einer mittleren Neuköllner Ration – überfahren und anschließend als Neandertaler „entdeckt“ wird, torkelt er gar in Zeitlupe durch die rauchenden Trümmer von zwei Schrottautos.

Viele Gags sind uralt oder geklaut, der Wechsel zwischen Live-TV- und Offszenen ermüdet, die Running Gags versanden wie das nie beim Gast ankommende Glas Wasser. Gerettet wird der Abend von Inka Löwendorf, dem einzigen Theaterprofi. Als röhrende Castorf-Furie nimmt sie die Theaterkritik vorweg: „Pappnasen-Theater! Soll das Medienkritik sein? Und ich hätte auch gerne einen Regisseur, der schon mal ein Theater von innen gesehen hat.“ Im Mittelalter wurden Hofnarren für mittelprächtige Vorstellungen gevierteilt. Kurt Krömer wäre mit der zwangsweisen Verabreichung einer Castorfschen Dostojewski-Adaption nicht unter zwölf Stunden bestraft genug.

Erneut am 27., 29. und 30. Juni.

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