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Die Volksbühne in Berlin.

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Volksbühne, Tim Renner und Chris Dercon: Die Volksbühne braucht neue Impulse

Jürgen Flimm, Claus Peymann und all die anderen aufgebrachten Intendanten irren: Die Berliner Theaterwelt geht keineswegs unter, wenn Chris Dercon nach Berlin kommt. Und die Volksbühnen-Legende Frank Castorf ist sowieso überall zuhause.

An einen vergleichbaren Vorgang kann ich mich nicht erinnern: Schon das Gerücht, wie die Besetzung eines großen Hauses in Berlin aussehen könnte, löst eine deutschlandweite Lawine der Empörung aus. Es geht um die inzwischen bestätigte Meldung, dass das Land Berlin den Belgier Chris Dercon als Nachfolger von Frank Castorf an die Volksbühne berufen will. Obwohl Chris Dercon – erfolgreicher Chef im Haus der Kunst in München, der Tate Modern in London – sich noch nicht zu seinem Konzept der Bespielung der Volksbühne geäußert hat, wird der – so wird er stets apostrophiert – „frühere Musikindustrie-Manager“ Tim Renner unter Beschuss genommen, als sei diese Überlegung ein Verrat am deutschen Theaterleben.

Claus Peymann, Patriarch unter den deutschen Intendanten, nennt den Berliner Kulturstaatssekretär einen „Lebenszwerg“. Die Aussicht auf eine Intendanz Chris Dercons führt – so der hochverdiente Jürgen Flimm im Tagesspiegel – dazu, dass „nun die Volksbühne … auf dem Schlappseil tanzen muss.“ Und schuld an diesem Desaster sei Tim Renner! Haben denn diese Empörten vergessen, dass der zu Recht hochgelobte André Schmitz die Entscheidung, Castorf nicht zu verlängern, getroffen hat? Aber es ist viel leichter und lustiger, Tim Renner zur Zielscheibe der Angriffe zu machen als seinen so kunstbegeisterten Vorgänger.

Dieser Renner ist neu - das Bashing nicht

Dieser Renner ist neu. Er kommt nicht aus der Hochkulturbranche. Er kann also nichts verstehen von dem, was er tut. Wie einfach und undifferenziert! Typisch für dieses Bashing sind die Äußerungen im Tagesspiegel von Bert Neumann, dem Chefdesigner der Volksbühne. Da bekennt er: „Ich kenne ihn (Dercon) nicht.“ Das hindert ihn aber nicht, einem Selbstlob den Höllensturz folgen zu lassen: „Zu unserem Kunstbegriff gehört, das reibungslose Funktionieren zu stören. Jetzt will man hier offenbar Dienstleister, die genau wissen, was gerade in der Kunstwelt angesagt ist.“ Und dann schwingt sich Neumann auch noch zum Propheten auf, wenn er droht: „Keiner von den Künstlern, die das Haus präsentieren, wird hier unter irgendeinem Kurator arbeiten, weder Pollesch, noch Castorf, noch die Schauspieler.“

Schon die Bezeichnung des designierten Intendanten als Kurator ist diffamierend. Der nicht-inszenierende Intendant ist an anderen Häusern immer wieder zu finden, und keiner bezeichnet ihn oder den Chef der Berliner Festspiele, Thomas Oberender, als Kurator. In diese Dercon-Hinrichtungs-Fanfare stoßen drei eminent kluge Intendanten: Joachim Lux aus Hamburg, Ulrich Khuon aus Berlin, Martin Kusej aus München mit unfassbar schrillen Tönen. Sie fordern ernstlich das Recht für Frank Castorf, seine Volksbühne ad infinitum weiterführen zu dürfen! Sie setzen in ihrem Brief den Wechsel in der Intendanz an der Volksbühne mit der willkürlichen Schließung des Schillertheaters im Jahre 1993 gleich!

Solange ein Theater kein "maroder Sauhaufen" ist, bleibt alles wie gehabt

Peter Raue ist Rechtsanwalt und Kunstexperte.
Peter Raue ist Rechtsanwalt und Kunstexperte.

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Dieses wurde, während die Intendantenverträge liefen, wenige Tage nachdem Hans Neuenfels seinen grandiosen „Sommernachtstraum“ inszeniert hatte, für immer geschlossen. Über hundert Menschen standen plötzlich arbeitslos da. Es ist entweder Zeichen mangelnder Kenntnis oder beachtlicher Blindheit, wenn man die Schließung des Schillertheaters gleichsetzt mit der Installierung eines neuen Intendanten in der Volksbühne.

Aber die Herren Intendanten schreiben, Chris Dercon zum Theaterchef zu berufen, bewirke „Zerstörung“, dergestalt, dass „ein drittes großes Berliner Theater als Ensemble-, Literatur- und Repertoiretheater“ abgewickelt wird. Und sie schlussfolgern ernstlich: „Weil die Volksbühne kein maroder Sauhaufen ist, braucht Berlin Frank Castorf und sein Künstlerkollektiv.“ Ja, so sehen es die Herren Intendanten: Solange ein Theater kein „maroder Sauhaufen“ ist, muss alles bleiben, wie es ist.

Frank Castorf ist fraglos ein bedeutender Regisseur und Theaterintendant. Ein Dutzend Einladungen zum Theatertreffen bis heute. Niemand scheint zu bemerken, dass die meisten dieser Inszenierungen aus München, Hamburg und Zürich stammen. Das lehrt: Ein Castorf ohne Volksbühne ist kein Künstler ohne Land, er wird Oper (Bayreuth), Theater machen können, wann und wo er will, auch in Berlin. Castorf hat eine „Ära Volksbühne“ gestaltet, aber rechtfertigt das ein Verbot, Neues zu wagen und nach 25 Jahren Castorf einen anderen Akzent setzen zu wollen?

Sollte man nicht auch in einem erfolgreichen Haus Neues wagen?

Keine Stimme aus der Theaterwelt oder in den Feuilletons hat sich erhoben, um zu beklagen, dass die Amtszeit des hoch aktiven und enorm erfolgreichen Claus Peymann zu Ende gehen soll. Weil er – um noch einmal Jürgen Flimm zu zitieren – angeblich „Literaturtheater“ macht, das wir angeblich nicht mehr brauchen? Ist das Intendanten-Prinzip (auf vier bzw. fünf Jahre beschränkte Amtszeit mit Verlängerungsmöglichkeit) nicht gerade der Erkenntnis geschuldet, dass kulturpolitisch auch an einem erfolgreichen Haus Neues gewagt werden darf, dass sich alles ändern darf, damit alles bleibt, wie es ist?

Und wie kann es zu diesem Una-Voce-Chor kommen, der Dercon für unfähig hält, dieses Amt zu bekleiden? Das Neumann-Bekenntnis „Ich kenne ihn nicht“ gilt für all die, die eine Intendanz Chris Dercons so vehement bekämpfen, bevor sie dessen Programm kennen. Wieder aus dem Brief der drei Intendanten: Man brauche keinen „Aufbruch in die Zukunft mit der Abrissbirne“. Es wäre ein Gebot der Fairness, zunächst einmal zu hören, ob er die Zukunft der Volksbühne wirklich zu einem Konkurrenzunternehmen zu den Berliner Festspielen einerseits, dem HAU anderseits machen will.

Der Ruf Berlins steht nicht auf dem Spiel

Ich jedenfalls habe keinen Zweifel daran, dass Chris Dercon intelligent genug ist, diesen Weg zu vermeiden, willens und fähig ist, sich mit Thomas Oberender und Annemie Vanackere und der klugen Kulturstaatsministerin Monika Grütters auf ein Konzept zu verständigen, das statt der befürchteten Identität des Angebotes Alternativen realisiert. Immer wieder wird unterstellt, Dercon wolle die Volksbühne zur „Event-Bude“ machen. Was ist denn die Volksbühne jetzt? Blühen dort nicht die Fleurs du Mal mit großen und kleinen Produktionen? Ist das Ensemble von neuen Schauspielern und Schauspielerinnen wirklich ein Grund, den Fortbestand des Theaters in seiner jetzigen Struktur und Leitung zu fordern?

Und sind die von Jürgen Flimm so gelobten „atemlosen Experimente“ in der Volksbühne wirklich so kostbar, dass sich nichts anderes dort bilden darf? Und was unterscheidet denn diese „atemlosen Experimente“ von einer „Event-Bude“? Jürgen Flimm irrt: Der Ruf Berlins steht nicht auf dem Spiel. Vielleicht aber der Ruf derer, die einen Mann ungefragt und ohne Kenntnis seiner Pläne zum unfähigen Dienstleister degradieren, statt sich anzuhören, was er plant und dann diese Pläne – herzlich gern auch mit vehementer Ablehnung – zu kommentieren.

Peter Raue lebt als Rechtsanwalt und Kulturexperte in Berlin.

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