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Glück auf vier Rädern. Oldtimer-Parade beim "Super VW Festival" auf der Rennstrecke von Le Mans in Frankreich.

© AFP

Volkswagen war Deutschland: Fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn

Motor und Mythos der Nation: Wie VW mit dem Käfer, dem Bulli, dem Golf deutsche Geschichte geschrieben hat.

Da stand er. Und es ging ein Strahlen von ihm aus. Denn seine Farbe war „stratosilbern“. Jedenfalls hatte der Verkäufer dieses Wort benutzt. Es sollte offenbar etwas mit dem Himmel zu tun haben, Stratosphäre. Himmelblau glänzte der Lack, die Familie, Vater, Mutter, Kleinkinder, umringte ihn, und auf den Gesichtern lag ein glückliches Lachen, ein stratosilbernes Lachen.

Das erste Auto. Es war im Jahr 1954. VW Käfer, Anschaffungspreis 4000 D-Mark. Das Heckfenster war winzig klein, und es war zweigeteilt.

Jungfernfahrt. Die Familie schleppte das Gepäck herbei, es war sehr wenig Gepäck; denn der Stauraum war begrenzt. Vorne unter der Haube – der Motor befand sich ja im Heck – war Platz für ein Köfferchen geringster Abmessungen, hinter dem Rücksitz gab es ein schmales Fach für weitere Habseligkeiten. Aber was tat das schon? Ein eigenes Auto! Die Jungfernfahrt ging über den Brenner, an die Adria, nach Jesolo.

Volkswagen war ein anderes Wort für Glück. Volkswagen war das Wort für ein Wunder, das Wirtschaftswunder.

Die Geschichte dieses Glücks hatte in finsteren Zeiten begonnen. 1930 bekam Ferdinand Porsche vom „Reichsverband der Deutschen Automobilindustrie“ den Auftrag, einen „Volkswagen“ zu bauen, ein erschwingliches Gefährt für jedermann. 1935 stellte er den ersten Prototypen vor, 990 Reichsmark sollte er kosten. 1938 legte Hitler den Grundstein für das VW-Werk in Wolfsburg.

Zum Gefährt für jedermann kam es nicht. Stattdessen wurde ein Kriegsfahrzeug daraus, der berüchtigte Kübelwagen der Wehrmacht, der die deutschen Angriffe auf Europa begleitete.

Als nach dem Kriegsende die mühsame Zivilisierung einer nationalsozialistisch verrotteten Gesellschaft begann, zeigte sich alsbald, dass Maschinen wandlungsfähiger sind als Menschen. Innerhalb weniger Jahre war VW entnazifiziert, aus dem Kübelwagen wurde der Volkswagen, und über Hitlers Autobahnen lief ganz zivil jenes bucklige Wunderding. Und lief und lief. Schon gut 20 Jahre später stellte der Käfer einen neuen Weltrekord auf und löste mit bis dahin 15 Millionen verkauften Exemplaren den vormaligen Marktführer ab, die legendäre Tin-Lizzy von Ford. Und lief weiter und lief in alle Welt. 21,5 Millionen verkaufte VW, bis 1978 Schluss mit dem Käfer war, nur im mexikanischen Puebla wurde er noch bis 2008 produziert. Und später noch als „New Beetle“, Käfer reloaded, einer Neuauflage für Nostalgiker.

Volkswagen war Deutschland. Die Identifikation mit dem Mythos VW steckte in den Genen der Nation, sie wurde weitergegeben von Generation zu Generation. Als das einstige Kleinkind, das 1954 den stratosilbernen Familien-Käfer bestaunt hatte, seinen 18. Geburtstag und den Erwerb des Führerscheins feierte, war es wiederum ein Käfer, der das erste Auto sein sollte. Diesmal war er weiß, hatte ein ungeteiltes Heckfenster, auch der seltsame Fußhebel, mit dem man bei Benzinknappheit auf Reservetank umschalten konnte, war mit den Jahren verschwunden. Aber sonst war alles gleich geblieben. Der Motor war immer noch hinten.

Volkswagen blieb Deutschland. Weil der Käfer viel mehr war als ein Auto, er war ein Lebensgefühl. Ausdruck eines Landes, das sich etwas leisten konnte und wollte. Ausdruck einer Mobilität, wie es sie nie zuvor in der Geschichte gegeben hatte. Volkswagen war der neue Besitzerstolz der heranwachsenden Generation, waren die eigenen vier Wände außerhalb der strengen elterlichen Wohnung, ein unabhängiges Reich, das sich schon auch mal ins unbeaufsichtigte Schlafzimmer verwandeln ließ. Oder das kurzerhand baden gehen konnte, wie der von Hanns Zischler entschlossen in die Elbe gesteuerte Käfer in einem der schönsten Nachkriegsdeutschland-Filme, in Wim Wenders’ „Im Lauf der Zeit“.

Der Käfer wird zum Filmhelden

Und erschwinglich war er auch noch. Ein Ferienjob genügte, und schon stand der Käfer vor der Tür, alt zumeist und mit schweren Gebrauchsspuren. Die Freiheit war bezahlbar.

Ein Mythos lebte und wurde zum Stoff für eine ganze Kinofilm-Serie. „Ein toller Käfer“, 1968, „Herbie groß in Fahrt“, 1974, „Herbie dreht durch“, 1980, um nur ein paar zu nennen.

Aber es war ja nicht nur der Käfer. Schon Anfang der fünfziger Jahre kam die King-Size-Ausgabe der Freiheit auf den Markt, der VW-Bus, der „Bulli“. Dass die Freiheit über den Wolken grenzenlos sei, war ein großer Irrtum von Reinhard Mey. Sie war es auf vier Rädern, den Bulli-Rädern. Der VW-Bus war wie eine bewegliche Wohnung, Schlafzimmer und Wohnzimmer in einem, Platz ohne Ende, fürs Surfbrett, fürs Motorrad – und für die Gitarren. Was wäre die Rockmusik ohne VW-Bus? Natürlich konnte die Reise jetzt auch weiter gehen. An die Atlantikküste, bis nach Südspanien, oder über den jugoslawischen Autoput nach Griechenland. Oder noch weiter weg, nach Indien, nach Südostasien. Der Bulli wurde zum Symbol der Hippie-Kultur, bunt bemalt und besprüht, Blech gewordene Sehnsucht. Die Dokumentation „The Bus“ hat auch ihm ein filmisches Denkmal gesetzt.

Golf gegen Käfer

Der große Schnitt kam 1974. Da gelangte die erste Version des Golf in die Autohäuser, das Nachfolge- und Ablösemodell des Käfers. Es war ein Kulturbruch. Hier der altvertraute Jedermannswagen mit seinen barocken Rundungen und Buchtungen, da dieser geradlinige Kasten, rechteckig, praktisch, gut. Und gar noch in seiner sportlichen Ausführung, als GTI mit Rallyestreifen. Oder als Cabrio mit dem seltsamen Sicherheitsbügel; Spötter nannten ihn „Erdbeerkörbchen“.

Aber VW hatte seine Tauglichkeit für den Zeitgeist bewiesen, wieder einmal. Der Golf war wie das neue Deutschland und sein Absatz reißend. Roch der Käfer nach Abenteuer, so roch der Golf nach Solidität und Sicherheit. Florian Illies erklärte ihn im Jahr 2000 zum Symbol jener Generation, die in den Achtzigern groß wurde, dem „langweiligsten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts“. Deutschland hatte sich gewandelt und Volkswagen mit ihm.

Vielleicht ist der VW-Betrugsskandal dieser Tage ja ein Ausdruck weiterer Wandlungen. Ausdruck dafür, dass die Märkte enger werden, weil sie weiter, internationaler geworden sind; dass der Wettbewerb härter geworden ist; dass für den Profit jedes Mittel recht ist.

Abgaswerte? Gewiss, der Käfer hatte einen Auspuff und bei manchen Modellen sogar zwei. Aber was da herausgekommen ist, wer wollte das schon wissen?

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