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Kultur: Vom Hocker gehauen

An den Gedanken, dass einem Gebrauchsgegenstand die Qualitäten eines Kunstwerkes zuwachsen können, mussten sich im Laufe des vergangenen Jahrhunderts selbst Ignoranten gewöhnen. Ob allerdings der Idee des Künstlers, der Umsetzung seines Werkes oder gar einer späteren Rekonstruktion gleichermaßen künstlerischer Wert zuzusprechen sei, ist ein Problem, das nicht nur Denkmalpfleger beschäftigt.

An den Gedanken, dass einem Gebrauchsgegenstand die Qualitäten eines Kunstwerkes zuwachsen können, mussten sich im Laufe des vergangenen Jahrhunderts selbst Ignoranten gewöhnen. Ob allerdings der Idee des Künstlers, der Umsetzung seines Werkes oder gar einer späteren Rekonstruktion gleichermaßen künstlerischer Wert zuzusprechen sei, ist ein Problem, das nicht nur Denkmalpfleger beschäftigt. Im Rechtsstreit um die Verwertungsrechte eines Stahlrohrhockers, den Marcel Breuer in einem glücklichen Moment des Jahres 1925 aus zwei Fahrradlenkern und einem quadratischen Brett für die Kantine des Dessauer Bauhausgebäudes erfand, verdichtet sich der Diskurs um die Deutungshoheit des Bauhauserbes, der hier zugleich die Marktchancen mittelständischer Design-Unternehmen definiert.

Beim niedersächsischen Möbelproduzenten Tecta dürfte man nicht schlecht gestaunt haben, als 1994 aus Dessau der Auftrag einging, Breuer-Tische zu liefern, man vor Ort aber feststellen musste, dass die dazugehörigen Hocker - ebenfalls im Tecta-Programm - bei der L. & C. Stendal Metallmöbel GmbH im heimischen Sachsen-Anhalt bestellt worden waren. Nun hatte der einstige Bauhaus-Student und spätere Jungmeister Breuer durch ökonomische Naivität selbst dafür gesorgt, dass die Verwertungsrechte seiner Möbelentwürfe einigermaßen verstreut worden sind. Durch die Pleite seiner eigenen Firma Standard Möbel etwa liegt ein Teil davon seit 1928 bei Thonet. Die 1889 gegründete Stendaler Firma produzierte besagten Hocker jedoch schon in den zwanziger Jahren.

Für Tecta schien die Hockerfrage dennoch eindeutig zu sein, hatte man die Lizenz ja vom Berliner Bauhaus-Archiv erworben. Dessen Gründungsdirektor Hans Maria Wingler ließ sich noch 1980 von Breuer schriftlich zur Verwaltung von Produktionsrechten ermächtigen. 1981 wurde die "sehr vage formulierte Vereinbarung" - so der derzeitige Direktor des Bauhaus-Archivs Peter Hahn - im Hinblick auf den "WassilyChair" von Constanze Breuer präzisiert. Den Hocker hat man damals zwar nicht explizit erwähnt, seinen Tecta-Nachbau jedoch bereits vor Jahren mit dem hauseigenen Warenzeichen "original bauhaus design" belobigt.

Tecta traf die ostdeutsche Konkurrenz, die seit 1994 mit einer Lizenz der Stadt Dessau (die die Verwertungsrechte der Bauhäusler beansprucht, aber erst ab 1931 nachweisen kann) produziert, jetzt in zweiter Instanz vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf, um klären zu lassen, ob Breuers Entwurf im Sinne eines Kunstwerks urheberrechtlich geschützt sei. Die anhaltischen Hockerfreunde hatten dies mit dem Verweis auf den Charakter des industriellen Serienproduktes bestritten. Knapp drei Wochen vor Breuers 100. Geburtstag entschieden nun die Düsseldorfer Richter: Das minimalistische Sitzmöbel aus wenig Material und umso mehr lässig umschlossener Luft besitzt den schöpferischen Mehrwert eines Kunstwerks. Die im letzten April mit Constanze Breuer nachverhandelten Lizenzverträge für alle acht von Tecta produzierten Breuer-Entwürfe sind folglich rechtmäßig; die Firma L. & C. muss die Produktion des Hockers einstellen.

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