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Kultur: Vom Kaufhaus zum Kunstkauf

François Pinault ist einer der reichsten Männer Frankreichs. Im Palazzo Grassi zeigt er seine Sammlung

„Ich kaufe, also bin ich“, heißt einer der hinterhältigen Sprüche Barbara Krugers, und hätte Jenny Holzer den Begriff der „Truisms“, der unwiderlegbaren Wahrheiten, nicht für ihre eigenen Arbeiten gepachtet, man wäre geneigt, ihn für diesen Satz anzuwenden. Denn im Kapitalismus „ist“ in der Tat nur der, der kauft.

Kunst zu kaufen, steht derzeit hoch im Kurs. Unter den Reichen und Superreichen, deren Listen die einschlägigen Wirtschaftsmagazine alljährlich publizieren, findet sich eine erkleckliche und vor allem stets wachsende Zahl von Kunstsammlern. Es ist viel Geld im Umlauf, dessen Eigentümer offenkundig über alles verfügen, was das Leben angenehm macht. Da bleibt die Kunst, weil ihr der Ruch des Einmaligen zumindest anhaftet – obwohl viel Massenware auf dem Markt zirkuliert – und mit der Einmaligkeit eben auch der soziale Status.

Die größten unter den Großsammlern sind diejenigen, die ihre eigene Sammlung nicht einmal genau kennen, weil sie schlicht zu groß ist und bei den Galeristen oder in Lagerhäusern wartet. Ein solcher Sammler ist der Franzose François Pinault. Von ihm ging die Saga, er besäße rund 2000 Werke, von denen er viele nur dem Namen des Künstlers nach kenne oder als Teil riesiger Konvolute erworben, aber noch nie vor sich ausgebreitet gesehen habe. Man darf getrost skeptisch sein – ist doch Pinault, mit einem geschätzten Vermögen von sechs Milliarden Euro immerhin Frankreichs Nummer Vier, Eigner des Auktionshauses Christie’s, des Weltmarktführers, den er sich einst in einer heftigen Übernahmeschlacht gegen seinen ewigen Konkurrenten mit dem noch dazu ähnlich klingenden Nachnamen Arnault gesichert hat. Dass Pinault in seinem mit allerlei Luxusmarken angereicherten Mischkonzern Pinault-Printemps-Redoute auch noch den Kultur-Grossisten Fnac hält, macht die Geschichte vom ahnungslosen Sammler nicht wahrscheinlicher.

Einerlei, die ersten Schleier sind inzwischen gelüftet. Seit April zeigt Pinault 223 Werke seiner Sammlung in dem eigens dafür erworbenen venezianischen Palazzo Grassi – fast zwei Jahrzehnte lang das kulturelle Aushängeschild der Fiat-Eignerfamilie Agnelli, doch nach dem Tod des kulturbesessenen Oberhaupts Gianni Agnelli und der wirtschaftlichen Krise des Automobilkonzerns zur Last geworden. Nach kurzem Rochieren griff Pinault zu und erwarb für 29 Millionen Euro eine Vierfünftel-Mehrheit der Grassi-Anteile – den Rest hält die Kasino-Gesellschaft der Stadt – und ließ das Innere in der Rekordzeit von fünf Monaten durch den japanischen Minimalismus-Architekten Tadao Ando herrichten. Ihm fühlte sich Pinault verbunden, sollte Ando doch eigentlich auf der südlich von Paris gelegenen Seine-Insel Seguin ein 18 000-Quadratmeter umfassendes Ausstellungs-„Schiff“ errichten, in dem die Majorität der Pinaultschen Sammlung Aufstellung gefunden hätte.

Hätte – wenn sich die französische Bürokratie, privater Initiative seit jeher skeptisch bis abhold gesonnen, nicht so langsam gezeigt hätte. „Die Zeit eines Unternehmers ist die seiner Existenz, seines Alters und der Ungeduld“, ließ der 69-jährige Selfmademan verlauten. Die Zeit der Behörden hingegen sei die der „endlosen Prozeduren“. Und so kam das Projekt der Ile Seguin, der Gemeinde Boulogne-Billancourt zugehörig und bis 1992 Produktionsstätte des Autokonzerns Renault, über Nacht zum Erliegen.

„Where are we going?“ ist nun die Eröffnungsausstellung in Venedig mit dem Titel einer Arbeit von Damien Hirst überschrieben. Gleichzeitig erinnert sie an die bange Frage von Paul Gauguin. Dass Hirsts Werk aus einem Behälter mit zahlreichen Tierskeletten besteht, wird man als dezenten Hinweis auf Alter und Ambition des Sammlers verstehen dürfen. Denn was bleibt, wenn ein Sammler die Erde verlassen hat, ist die Kunst; nirgends ist das besser zu studieren als an Madrids Sammlung Thyssen-Bornemisza, die den Namen ihres Patrons in alle Ecken der Erde trägt.

Soweit ist François Pinault noch nicht; wie es überhaupt fraglich ist, inwieweit Sammlungen zeitgenössischer Kunst überdauern. Gewiss gibt es Künstlernamen, die ihren Platz im Olymp der Kunst sicher haben. Pinault hat etliches davon. Ein eigenes Profil, gar die persönliche Suche – den Irrtum eingeschlossen – lassen sich hingegen an der venezianischen Premiere nicht ablesen, zumal die Erwerbungsdaten verschwiegen werden. Immerhin gibt der Sammler an, seit dem Erwerb einer Zeichnung des Post-Impressionisten Sérusier vor gut drei Jahrzehnten mit der zeitgenössischen Kunst zu liebäugeln. Da wüsste man schon gerne, wann die Liebe zu bestimmten Werken entflammte, oder ob es nur der Markt war, der bestimmte Namen als sichere Investitionen einflüsterte. Kann man sich schließlich irren, wenn man heutzutage ein Konvolut von Bruce Nauman vorzuweisen hat oder eine Kollektion von Donald Judd, den – so geht die Fama – Pinault eigens per Privatjet in der texanischen Wüste aufsuchte, um ihm eine Werkgruppe en bloc abzuhandeln?

Jeff Koons, der zwischenzeitlich ein wenig aus der Gunst des Marktes gerutscht war, ist glänzend – im wahrsten Sinne des Wortes – vertreten und darf die den Canal Grande hinaufschippernden Touristen mit seinem mehr als drei Meter hohen „Balloon Dog“ schon von ferne auf das Spektakel des „neuen“ Palazzo Grassi aufmerksam machen. Drinnen herrscht ein eigentümliches Gegeneinander von schrei-bunter Kunst à la Paul Mc Carthy und stillen Arbeiten wie den 1296 Bodenplatten Carl Andres oder den Gemälden von Brice Marden – und drei Mark Rothkos aus dessen allerbester Zeit Anfang der Fünfzigerjahre.

Die Stadt Venedig zeigt sich über das Engagement des Franzosen naturgemäß hochbeglückt, hatte sie doch den bisherigen Fiat-finanzierten Palazzo Grassi als Besuchermagneten stets auf ihrer Rechnung. An dessen Tradition des Wechsels von kunst- und kulturhistorischen Ausstellungen will Pinault anknüpfen. Denn die zeitgenössische Kunst allein lockt nicht mehr genug, dazu ist sie mittlerweile in zu vielen Sammlermuseen rund um den Globus zu besichtigen, von den Wanderausstellungen kleinerer oder größerer Sammlungsteile ganz abgesehen. Auch Pinault denkt in diese Richtung. Seine Video-Sammlung will er demnächst in Lille vorstellen. Auch der Name Berlin ist gefallen. Warum nur, fragt sich der Konsument der Friedrich-Christian-Flick-Collection im Hamburger Bahnhof, noch so eine Sammlung, der sich der Eigentümer angeblich erst beim Auspacken so recht bewusst geworden war. Bruce Nauman jedenfalls ist in Berlin hinreichend zu bewundern. Da ist Pinault im vergangeneheitsseligen Venedig gewiss besser aufgehoben.

„Wohin wir gehen“, um den Ausstellungstitel aufzugreifen, werden wir weder im Grassi noch in Berlins Hamburger Bahnhof erfahren. Allenfalls, so es der böse Kunst-Klatsch will, woher all diese Schätze kommen, mit denen sich der Reichtum seiner Eigner so vorzüglich ausstaffieren lässt. Pinault kauft, also ist er – das zumindest hat er sich selbstironisch von Barbara Kruger bescheinigen lassen.

François Pinault, geboren am 12. August 1936 in der Bretagne, ist ein französischer Unternehmer und Milliardär und Eigentümer des Auktionshauses Christie’s . Seine Firmengruppe PPR (Pinault-Printemps-Redoute) ist im Luxusgüter- und Lebensmittel-Handel engagiert. Zu dieser Gruppe gehören die Marken: Gucci , Yves Saint Laurent, Bottega Veneta; die Pariser Luxuskaufhäuser Printemps-Redoute , die Möbelgruppe Conforama und die Elektromarktkette Fnac .

Pinault ist außerdem

Besitzer des berühmten Weingutes Château

Latour in Pauillac bei

Bordeaux, eines der zehn besten Weingüter der Erde. Und er besitzt eine der größten

Sammlungen zeitgenössischer Kunst.

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