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Kultur: Vom Training des aufrechten Gangs

Eine sehr aussagekräftige Szene zum Verhältnis von Kultur und Politik fand am Vorabend woanders statt.Die legendären und uralten Afro Cuban All Stars aus Havanna spielten vor einem begeisterten Publikum im Tempodrom und hoch über der Bühne rangierten im Flutlicht die Baukrähne, und Arbeiter mit gelben Helmen hämmerten am neuen Kanzleramt.

Eine sehr aussagekräftige Szene zum Verhältnis von Kultur und Politik fand am Vorabend woanders statt.Die legendären und uralten Afro Cuban All Stars aus Havanna spielten vor einem begeisterten Publikum im Tempodrom und hoch über der Bühne rangierten im Flutlicht die Baukrähne, und Arbeiter mit gelben Helmen hämmerten am neuen Kanzleramt.Immer dann, wenn die Cuban All Stars eine Pause machten, hörte man es, das Hämmern am Kanzleramt.

Am nächsten Abend fuhr Gerhard Schröder mit einem VW Art & Shuttle zum Schiffbauerdamm, überquerte mit einem zügigen Gang und Sicherheitskräften den Bertolt- Brecht-Platz und trat ein ins "Berliner Ensemble" zum Kulturfest der "Eurovisionen", dem am Nachmittag vorausgegangenen "Ideentreff" von europäischen Künstlern und Intellektuellen mit der SPD.Der Kanzlerkandidat saß neben Oskar Lafontaine und der neben Ruth Brandt und Ben Kingsley, dem Gandhi-und Lenin-Darsteller.Hinter dem Gandhi-und Lenin-Darsteller saß in zweiter Reihe Rudolf Scharping neben Katja Ebstein und Wolfgang Thierse.Jack Lang, der französische Ex-Kulturminister, saß vor Jean-Michel Jarre und Thomas Freitag und Carola Stern, dahinter rechts Sigrid Löffler neben dem Gorbatschow-Manager, schräg davor Otto Sander mit Senta Berger, Michael Naumann, Pavarotti und Heiner Müller, dahinter Aristoteles, Hegel und Fontane.

Es wurde sehr viel gesagt.Es gab ein paar sehr schöne musikalische Einlagen, man grüßte sich unter einander viel, ansonsten rauschte es im Zitatenwald.Lang zitierte Goethe, Naumann Hegel, Lafontaine Fontane.Roger Willemsen, der Moderator des Abends, erklärte am Anfang, um was es geht."Nicht die Kunst für die Macht zu instrumentalisieren, sondern umgekehrt: die Macht für die Kunst." Daß so etwas garnicht so einfach auseinanderzuhalten ist, also wer wen eigentlich instrumentalisiert, bewies Michel Tournier, der Erzähler, mit einem Märchen: Ein König ruft zu einem Wettbewerb der Malerei und bittet einen chinesischen und einen griechischen Maler zwei gegenüber liegende Wände zu bemalen.Er fragt, wie lange sie bräuchten, und der griechische Maler sagt, er bräuchte solange wie sein Konkurrent.Nach drei Monaten, in denen der König die gegenüberliegenden Wände durch einen Vorhang trennte, ist der chinesische Maler fertig, und der König und sein Gefolge sind begeistert beim Anblick eines wunderschönen Gartens.Es scheint, der Chinese habe schon gewonnen.Dann wird der Vorhang weggezogen, und was hat der andere Maler gemalt? Nichts.Die Königsgesellschaft schaut nur in einen Spiegel, der sie in dem gegenüberliegenden Garten widerspiegelt."Ein so wunderschöner Garten mit so wunderschönen Menschen", rief der König und erklärte den Maler, der nur den großen Spiegel an die Wand hing, zum Sieger.

Wie soll man das also verstehen? Kann die Macht mit der Kunst nur etwas anfangen, wenn sie sich darin spiegelt? Und kommt die Kunst nicht dann zu größter Bedeutung, wenn sie sich selbst mit den Mächtigen spiegelt? Man weiß nicht so recht, wie die Parteispitze der SPD an diesem Abend über das Märchen dachte, aber eines wurde zumindest deutlich.Schröder benutzte nicht die Treppe zur Bühne, sondern sprang auf die Rampe und erklärte: "Eineinhalb Jahrzehnte der Schweigsamkeit zwischen Politik und Kultur sind vorbei ...Wir wollen jetzt europäische Hochkultur." Man weiß wiederum nicht so genau, was er mit "europäischer Hochkultur" meinte, aber zumindest konnte man sich über Schröders Zugang zur Kultur an diesem Abend Gedanken machen.

Er sprach davon, daß er "nicht dorthin hineingeboren wurde", daß sich aber die "erarbeitete Begegnung mit Kultur in seinem Leben lohnte".Schröders Begegnung mit der Kultur ist also gezeichnet vom "Lohn der Mühe", da ist wenig von Sinnlichkeit zu spüren und von Leichtigkeit bei einem, der sonst so viel versteht von erotisierenden Inszenierungen.Schröder duckt sich ein bißchen vor der Kultur, und das ist eigentlich angenehm unprätentiös, weil er nicht wie Helmut Kohl ständig Ernst Jünger zitiert oder behauptet, er sei eine Leseratte.Daß in der Regel ja gerade Sozialdemokraten eine dekorative Nähe zur Kultur bei solchen Anlässen behaupten müssen, macht Schröder in diesem Punkt erst einmal ehrlicher.Wenn er jetzt zum Beispiel den Künstlern erklären würde, die neue SPD habe mit Kultur nicht so viel am Hut, man könnte es nachvollziehen.Aber dann ist er andererseits derartig offensiv (Schröder wird ja von dem halben Kulturbetrieb geduzt!), daß man wieder unsicher wird: Ist die Naumann-Nominierung als "Staatsminister für Kultur" nun wirklich der "Lohn der Mühe", also ein "erarbeitetes" Kulturverständnis oder ein genialer, schillernder und inszenierter Wahlkampfzug als Kulturdekor?

Schröder ist irgendwie nicht zu fassen.Aber die Kultur derer, die sie im Berliner Ensemble vertraten, ist es mittlerweile auch nicht mehr.Die Intellektuellen, die man seit vielen vielen Jahren in der Nähe der SPD sehen konnte, sind alt geworden und es ist jetzt die letzte Chance noch einmal mitzumischen.Das hieße im Sinne des Märchens, daß es ein bißchen egal ist, wer sich in wem spiegelt oder wer wen instrumentalisiert.Wenn es am 27.September klappt, dann ist vielleicht Naumann der griechische Maler oder Installationskünstler, der den Spiegel installiert, und dann wird es spannend.

Was würde dann die Nähe dieser Intellektuellen zur Macht bedeuten? Beginnt dann das Training des aufrechten Gangs? Oder werden sie zum Schlachtpferd der Partei? Setzt also dann die Desillusionierung ein, oder wird es die gar nicht geben, weil sich die Intellektuellen schon prima mit einer neuen SPD arrangieren, die sich bewegt zwischen einer Form von erotischer CDU und sozialdemokratischer Romantik?

Wie ein alter Mahnruf stand dann auch Wolfgang Thierse am Rande des Interesses und später auf der Bühne, wo er noch so lange von den Zielen der französischen Revolution sprechen konnte: er fiel einfach aus dem Bild.Noch vor wenigen Stunden hatte der künftige SPD-Wirtschaftminister und Software-Experte Jost Stollmann von nötigen Anpassungsschmerzen gesprochen, und jetzt stand da Thierse, und es war, als wolle er mit dem Geist der Aufklärung hinter dem Schrödergeist und Stollmanngeist hinterlaufen, um einen erbarmungslosen Fortschritt einzuholen und umzuwenden.Als Thierse, der Kulturliebende, sprach, spielten die uralten Cuban-Männer im Tempodrom, und über Thierse hämmerte es am neuen Kanzleramt.Mittlerweile, nachdem auch Elie Wiesel, der jüdische Friedensnobelpreisträger, sehr bewegend den Geist des Menschentums forderte und Schröder eben einen weißrussischen Lukaschenko-Oppositionellen beklatschte, obwohl er den Dikatator kürzlich empfangen hatte, da war auch Ruth Brandt, die Frau von Willy Brandt, eingeschlafen.Und es paßte jetzt zur symbolischen Inszenierung, daß man einer künstlerischen Lesung der Menschenrechte leise applaudierte, den einzelnen Prominenten aber, die sie vortrugen, laut.

Am Ende, als eben noch eine Kapelle ein Lied über Computer sang, eilte Schröder in die Nacht und in den VW Art & Shuttle.Lafontaine und die europäische Hochkultur gingen noch ein paar Häuser weiter zu einem bereiteten Büfett.Wer nicht rein durfte, saß nebenan in der "Bier-Börse" (Oh Symbolik!) und diskutierte das neue Verhältnis von Kunst und SPD."Die Repolitisierung der Kultur", rief jemand, "ist nun endgültig eingeläutet." "Ja", rief ein anderer, "das Vakuum ist nun weg." Ein dritter zitierte Adorno in tiefer Nacht: "Der Idealismus wäre dann erst verlassen, wenn die Freiheit der abstrahierenden Begriffsbildung preisgegeben wäre." Olala.Dann lief Thierse an der Bier-Börse vorbei.Er war ganz allein.

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