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Kultur: Vom Unglück hartnäckiger Gedanken

Ewiges Parlando: Javier Marías und sein philosophischer Krimi „Die sterblich Verliebten“.

Seinen Status als Starautor verdankt Javier Marías nicht zuletzt dem Literarischen Quartett, das seinen Roman „Mein Herz so weiß“ Mitte der 90er Jahre in Weltliteraturhöhen hinauflobte und zum Bestseller machte. Nicht zu Unrecht im Übrigen, denn der Roman war tatsächlich ganz wunderbar. Mit seiner knapp 1500 Seiten umfassenden, hochambitionierten Trilogie „Dein Gesicht morgen“ verabschiedete Marías sich vom breiten Publikum (oder vielmehr: das Publikum verabschiedete sich von ihm). Nun gibt es einen neuen Roman, der thematisch und inhaltlich an die früheren Bücher anknüpft.

Die Geschichte von „Die sterblich Verliebten“ ist schnell zusammengefasst; schon deshalb, weil es geboten ist, an einem bestimmten Punkt abzubrechen, um nicht die Pointe preiszugeben. Denn unter anderem hat Marías den Versuch unternommen, eine Art von philosophischem Krimi zu schreiben.

Da ist also María, der Name ist kein Zufall, Mitte 30, Lektorin in einem belletristischen Verlag. Jeden Morgen beobachtet sie in ihrem Frühstückscafé ein Paar, dessen Umgang miteinander sie bewundert und im Stillen beneidet: keine falschen Gesten, keine Peinlichkeiten, sondern eine Form von offener Selbstverständlichkeit. Ein gut situiertes, nicht mehr ganz junges Ehepaar und trotzdem noch: ein Liebespaar.

Eines Tages kommen die beiden nicht mehr, und über Umwege erfährt María, dass Miguel, so heißt der Mann, Opfer eines unerklärlichen Gewaltverbrechens geworden ist. An seinem 50. Geburtstag wurde er von einem Stadtstreicher mit 16 Messerstichen ermordet; der Mörder gibt an, Miguel sei verantwortlich dafür, dass seine beiden Töchter als Prostituierte arbeiten müssten; danach schweigt er. María macht die Bekanntschaft von Luisa, der Witwe, und Javier (auch dieser Name kein Zufall), Miguels bestem Freund, beginnt ein Verhältnis mit ihm und erfährt auf diese Weise mehr über den Mord, als ihr lieb sein kann.

Zwei Einwände sind es, die man schon nach wenigen Seiten der nicht eben kurzen Lektüre gegen den Roman richten muss; sie sind so gravierend, dass sie alles andere überdecken. Zum einen ist es die kaum zu ertragende Verschwätztheit der Erzählstimme, die sich auf alles und jeden richtet. Alles wird mehrfach gesagt und teilweise bis zur Sinnentstellung hin und her gewendet: „Sie war noch nicht bereit für Neugier, für das Interesse an jemand anderem, für einen Blick ins fremde Leben, das ihre nahm sie voll und ganz in Anspruch, zehrte all ihre Kräfte, ihre Konzentration auf, vermutlich auch ihre Fantasie. Ich war für sie nichts als ein Ohr, in das sie ihr Unglück, ihre hartnäckigen Gedanken gießen konnte.“

Ein Mehrwert ergibt sich durch Marías’ dauerreflektierendes Parlando kaum. Für seine Figuren interessiert er sich nicht im Geringsten; es ist ihm völlig gleich, ob er seinen umständlichen Tonfall über mehrere Seiten hinweg einem Charakter als wörtliche Rede in den Mund legt oder die Erzählerin María selbst sprechen lässt – alles klingt gleich, nach Marías nämlich.

Womit man beim zweiten Einwand wäre; einem Hang der Erzählstimme zur Kollektivierung vermeintlicher Erkenntnisse, die ohne Übertreibung als literarische Selbstüberhöhung und Anmaßung bezeichnet werden darf, und zwar immer dann, wenn persönliche Eindrücke in die unangenehm vereinnahmende erste Person Plural überführt werden: „Nach all den Tagen wirkte er sehr anziehend auf mich, ein elementarer Teil von mir hatte ihn vermisst – wir vermissen alles, was in unserem Leben auftaucht, selbst das, was keine Zeit hatte, sich niederzulassen, selbst das Schädliche.“

Aus dem Ich wird so unvermittelt wie systematisch ein Wir. Das mag ein Grund dafür sein, warum Javier Marías oft bescheinigt wird, er sei ein grandioser Menschenkenner und -versteher. Es lässt sich darauf mit einem recht drastischen Beispiel entgegnen: Wer mit einem Maschinengewehr in eine Menschenmenge zielt, wird mit Sicherheit den einen oder anderen Treffer landen. Wer, wie Marías, mit einer rhetorischen Dauersalve auf die Befindlichkeiten und vermeintlich allgemeingültigen Konstanten des Daseins feuert, hat selbstverständlich auch hin und wieder mal recht.

Der Erkenntnisgewinn einer solchen geradezu manisch auf das Explizite ausgerichteten Literatur bleibt allerdings gering. Zumal sich daraus noch ein weiterer innerer Widerspruch ergibt – geht es doch dem Schriftsteller Marías in seinen Romanen auch stets um das Gespenstische, Geheimnisvolle; um das Unheil, das dem heimlichen Lauscher begegnen kann; um den Fluch, den unfreiwilliges Wissen hervorruft und den man nicht wieder los wird. All das ist in „Die sterblich Verliebten“ angelegt und, wie man es von Marías nicht anders kennt, in der Literaturgeschichte abgesichert und verankert, bei Shakespeare (wie auch in den frühen Romanen), vor allem aber bei Balzac und dessen Erzählung „Le Colonel Chabert“.

Dem entspringt auch der bemerkenswerteste Gedankengang, der sich durch „Die sterblich Verliebten“ zieht; die Frage nämlich, inwieweit der Tod eines Menschen für die Hinterbliebenen gleichzeitig der Beginn einer neuen Existenz ist. Zur Entfaltung allerdings wird auch diese Überlegung nicht gebracht. Ihr ergeht es wie allem hier: Kaum ist sie in der Welt, wird sie gnadenlos plattgeredet.

Javier Marías: Die sterblich Verliebten. Roman. Aus dem

Spanischen von

Susanne Lange.

S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2012. 432 Seiten, 22,90 €.

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