zum Hauptinhalt
Lasst Körper singen. Der Japaner Tomomi Adachi könnte Cages Enkel sein. Er steht in der Tradition der Sonic Arts Union. Foto: Kai Bienert

© MUTESOUVENIR | KAI BIENERT

Kultur: Vom Zirpen der Kakteen

Engel, Eminenzen, Elektroden: Die Berliner Märzmusik konfrontiert John Cage mit Wolfgang Rihm.

Wie eine Engelsfigur schwebt die Sängerin Joan LaBarbara im kimonoartigen Gewand in den Schnürboden der Festspielhausbühne empor. Wenig später kommt sie wieder herunter – mit Wildschweinkopf statt Engelshaar. Derweil steht unten eine gestrenge Lehrerin an einer Wandtafel und kreischt immer wieder dieselbe sinnfreie Formel schrill in den Raum, während ein Cellist in der hinteren Bühnenmitte beschwingt ein Picknick zubereitet, als wäre er ganz alleine auf der Welt. Keiner fragt hier nach dem Warum, schließlich besteht der ganze Abend aus szenisch-musikalischen Elementen ohne Zusammenhang. Unter ständiger Wiederholung schichten sie sich übereinander zu immer neuen klanglich- visuellen Konstellationen.

In ihrer Bildlichkeit erweist sich diese Neuproduktion von John Cages „Song Books“ in Kombination mit „Concert for Piano and Orchestra“ als ungewöhnlicher, aber nicht ungeeigneter Einstieg in den Kosmos des amerikanischen Komponisten, der die Musikwelt mit seinen revolutionären Ideen auf den Kopf stellte und in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Der Zufall, die Stille, das präparierte Klavier, all das ist Cage. Und wie es der Zufall will, feiert auch der 1952 geborene Wolfgang Rihm heuer einen runden Geburtstag. Ganz zufällig hat die diesjährige Märzmusik daraus ihr Festivalthema gestrickt: „Pole“ heißt es und stellt die musikalischen Welten der beiden Jubilare, die unvereinbarer nicht sein könnten, einander gegenüber. Schon wieder entfällt die Frage nach dem Warum.

Um das Phänomen dieses fundamentalen Gegensatzes erlebbar zu machen, genügt im Grunde einer der neun Festivaltage. So tritt Wolfgang Rihm erst in der Mitte der Zeit auf den Plan und bleibt auch nicht lange. Wo Rihms uneingeschränkter Ausdruckswille auf die Komponisten der „New York School“ trifft, sind die abstoßenden Kräfte tatsächlich eklatant. Steht er im Konzert des Rias- Kammerchors in der Sophienkirche allerdings neben den Musikalischen Exequien von Heinrich Schütz, ist von der genialischen Kreationswut des Karlsruher Meisters wenig zu spüren. Tonale Musik zu Passionstexten, halbherzig mit ein paar Dissonanzen angereichert, das wirkt neben Schütz geradezu seicht.

John Cage und den Folgen ist eindeutig der Löwenanteil des Festivals für aktuelle Musik gewidmet. Angesichts der Tatsache, dass die Akademie der Künste den Komponisten ein ganzes Jahr lang weit über die hauptstädtische Sättigungsgrenze hinaus abfeiert und Berlin eigentlich jetzt schon ausgecaged ist, erscheint diese Wahl erst einmal verwunderlich. Matthias Osterwold aber, der künstlerische Leiter, stellt geschickt die Interdisziplinarität und geistige Flexibilität Cages in den Mittelpunkt. Mit einem neu renovierten Festspielhaus ist die Märzmusik zwar nicht mehr obdachlos, macht sich jedoch nach wie vor in der Stadt breit. Für jede Idee, jedes Programm und jedes Medium den optimalen Raum zu finden, ist eine seiner großen Stärken. Auch in diesem Jahr sind die Spielstätten vom Konzerthaus übers Berghain bis zum Botanischen Garten wieder voll und das Publikum bunt durchmischt.

Gelungen ist vor allem die Gewichtung zwischen Cages Musik und dem Phänomen Cage – und wer sollte das besser greifbar machen können als Zeitgenossen und Kollegen aus seinem Umfeld? Dabei ist die Wiedervereinigung der 1966 gegründeten Sonic Arts Union ein wirklich rares historisches Ereignis. Robert Ashley, Alvin Lucier, Gordon Mumma und David Behrman entwickelten darin ihre hoch innovativen Ansätze der live-elektronischen Komposition und Performance, die noch Generationen prägen sollten. Ein Hauch von Nostalgie weht durch den Saal, wenn Alvin Lucier in „Music for Solo Performer“ (1965) Elektroden an seinem Kopf befestigt, um nur mit seinen Gehirnströmen ein ganzes Schlagzeugensemble in Schwingung zu versetzen. Beim Künstlergespräch mit den hochbetagten Herren aus den USA wird klar, dass ihre Kunst aus einem eisernen Willen zur Veränderung heraus entstanden ist und ohne europäische Mittel, ohne abendländische Strukturen und Gelder niemals hätte weitergedeihen können (so viel zur aktuellen „Kulturinfarkt“-Debatte aus globaler Sicht!). Die lockere Schlagfertigkeit und Selbstironie der vier gleicht dem Humor des alten John Cage, wie er in seinem Film ohne Inhalt „One11“ (1992) zum Ausdruck kommt: Dem aus dem Licht von 168 Lampen bestehenden Werk hängt er nach 90 Minuten ein altmodisches „THE END“ in Schnörkelschrift an, und versetzt so das ganze Konzerthaus in Gelächter.

Weitaus weniger entspannt gibt sich der als „Begünder des Minimalismus“ bekannte La Monte Young bei seinem Auftritt mit „The Just Alap Raga Ensemble“ in der von Marian Zazeela gestalteten Lichtinstallation „Dream House“, die erstmals in Europa zu erleben war. Das Publikum hockt in magentafarbenes Licht getaucht auf dem Boden der Villa Elisabeth und harrt des Meisters. 30 Minuten lang derselbe Sitarklang, ab und zu wird geklatscht, sonst passiert nichts. Enttäuschend schließlich die Performance, die weniger an einen musikalischen Pionier als an einen westlichen Aussteiger und Self-made-Guru erinnert, der sich in der Esoterik neu erfindet. Schade, denn hört man das Arditti Quartett im Kammermusiksaal mit „On remembering a naiad“, wird klar, wie stark die Wirkung seiner Idee einer „endlosen“ Musik ohne allen fabrizierten Nimbus wäre. Vielleicht war das Traumhaus doch keine so gute Idee?

Mit dem Fokus auf John Cages kategorieloses Denken bietet die Märzmusik in diesem Jahr viel Denkstoff – ein Aspekt, der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Vielleicht wünscht man sich von einem Festival wie diesem einfach nur großartige, neuartige Musik. Steht man dann aber an einem strahlenden Sonntagmorgen im Kakteenhaus des Botanischen Gartens und lauscht einer seltenen Aufführung von Cages „Branches“ für verstärkte Pflanzenklänge, kann man diesen Wunsch getrost noch eine Weile aufschieben und sich ganz dem Zirpen eines Kaktusstachels hingeben. Warum eigentlich nicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false