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Kultur: Von Bären und Menschen

Albtraum Wildnis: David Vann schildert eine Zwangsidylle zwischen Vater und Sohn

Einen traurigeren Roman über Väter und Söhne hat man noch nicht gelesen. Er beginnt als Aufbruch ins Abenteuerliche. Jim, ein Zahnarzt, hat den Beruf an den Nagel gehängt und nimmt sich ein Jahr Urlaub. Mit seinem 13-jährigen Sohn Roy bricht er auf in die Wälder, bezieht eine Hütte an einem gottverlassenen See in Südostalaska. Da wird gefischt und gejagt, da wird der Überlebenskampf jenseits der Zivilisation inszeniert, da kommen sich Vater und Sohn auf mannhafte Weise nahe. Eine typisch amerikanische Initiationsgeschichte, so scheint es. Atmosphärisch beschrieben in einer kargen Sprache von jener Hemingwayschen Sachlichkeit, die Gefühle darstellt, indem sie sie gerade nicht benennt. Aber kennt man das nicht zur Genüge?

Schnell spürt man, dass es hier anders ist. Roy hatte eigentlich gar keine Lust auf die Reise. Seine Eltern sind geschieden, und er hat sich bloß darauf eingelassen, weil er seinen Vater für selbstmordgefährdet hält. Jetzt kommt für ihn alles darauf an, Jims Alaska-Traum zu überleben. Denn dieser Vater ist ein Schreckbild des Versagens. Er hat nicht mit den wilden Tieren gerechnet – ein Bär macht ihre Hütte unsicher und zerstört einen Teil der Ausrüstung. Einmal verirrt sich Jim bei einer gemeinsamen Wanderung durch den Schnee; als die Dämmerung kommt, schlägt er vor, für die Nacht einen Iglu zu bauen. Dabei wird er unter einstürzendem Schnee begraben und muss von Roy hastig ausgegraben werden. Ein andermal fällt er von einem Kliff einen Hang hinunter – der Sohn schleppt ihn verletzt zurück zur Hütte.

Und was soll der Sohn von einem Vater halten, den er Nacht für Nacht wimmern hört? „Am Morgen erinnerte sich Roy an das Weinen, und ihm schien, genau das sollte er nicht. Irgendeiner Vereinbarung zufolge, der er nicht beigewohnt hatte, sollte er es nachts hören und tags nicht nur vergessen, sondern auch irgendwie ungeschehen machen. Allmählich fürchtete er ihre gemeinsamen Nächte.“

Warum schluchzt der Mann? Auch Jims zweite Ehe ist gerade gescheitert. Über Funk führt er aufgeregte Diskussionen mit seiner Ex-Frau, fleht sie an, obwohl sie inzwischen mit einem anderen glücklich ist. Der Vater quält den Sohn mit den Bekenntnissen seiner sexuellen Bedürftigkeit, er überfordert ihn mit den Erzählungen seiner Frauengeschichten und Betrügereien. Bald fragt Jim sich selbst, was er überhaupt in Alaska sucht. Frauen begegnet man hier immerhin seltener als Bären.

Zwischendurch gibt er den herzhaften Kumpelvater, der mit dem Sohn eine tolle Zeit verlebt. „Voilà, sagte sein Vater und hob die Arme, tauge ich doch zu was, hmm?“ Roy schafft ein angestrengtes „Vielleicht“ als Antwort, worauf Jim ungemein entspannt lacht: „Vielleicht! Mein Junge entwickelt Humor! Fühlst dich hier allmählich wohl, stimmts?“ Das sind schmerzhaft falsche Töne.

David Vann wurde 1966 auf Adak Island in Alaska geboren. Heute lehrt er kreatives Schreiben an der Universität von San Francisco; gerade erschien in den Vereinigten Staaten sein neuer Roman „Caribou Island“. Als 13-Jähriger wurde er vom Selbstmord seines Vaters traumatisiert. In seinem mit internationalen Preisen überhäuften Erzählband „Legend of a Suicide“ hat er das Thema in mehreren Geschichten variiert. Kernstück ist diese meisterhafte, in der deutschen Übersetzung Miriam Mandelkows nun separat veröffentlichte Erzählung von Romanlänge, in der das wahre Selbstmord-Geschehen verschoben wird: vom Vater auf den Sohn. Es kommt der ungeheuerliche Moment, in dem die realistische Geschichte ins Albtraumhafte kippt. Jim drückt Roy eine Pistole in die Hand, mit der er eben noch theatralisch herumgefuchtelt hat, und verlässt die Hütte, um draußen über sein Elend zu grübeln. Als er zurückkehrt, hat sich Roy das halbe Gesicht weggeschossen. Es wirkt wie eine Vater-Bestrafungsfantasie.

Das letzte Drittel des Romans erinnert an die Endzeit-Szenarien Cormac McCarthys. Abgeschieden von der Außenwelt (das Funkgerät hat er in einem Wutausbruch zerstört), verbringt Roy den einsamsten aller Winter mit dem verrottenden, in einen Schlafsack gestopften, immer wieder in Details beschriebenen Leichnam seines Sohnes, geschüttelt von Trauer, bitterem Gram und Selbstmitleid, in brabbelnden Selbstgesprächen, ein armseliger, aber berührender King Lear. „Er war wie ein Schauspieler in seinem Schmerz“, heißt es. Aber alle Einsicht kommt zu spät: „Ich hab’s versaut, sagte er. Er hockte neben der Grube und wiegte sich. Diesmal hab ich’s echt versaut.“

Schon die erste Seite wartet mit einer bizarren Travestie der Schöpfungsgeschichte auf: Ouvertüre existenzieller Verkorkstheit. Leise strömt dann die Panik ein, mitten in den Naturbeschreibungen häufen sich düstere Vorzeichen. Roy fängt etwa einen Saibling: „Er hätte ihn normalerweise wieder reingeworfen, so klein war er, doch inzwischen brauchten sie alles, was sie kriegen konnten, darum zertrümmerte er ihm den Kopf und schlitzte ihn vom Arschloch bis zum Schlund auf, um zu sehen, ob er Eier hatte …“ Das ist ein Ton, der die tödlichen Tatsachen ein bisschen zu deutlich benennt. Als Jim endlich von einem Polizeiflugzeug entdeckt wird, zieht er durch seine befremdliche Geschichte bald das Misstrauen des Sheriffs auf sich. Hat er seinen Sohn womöglich selbst getötet?

Diese Spottgestalt eines verantwortungslosen, eines verzweifelten Vaters ist eine Figur, die man nicht vergisst. Man liest dieses schaurig-schöne Buch wie eine Warnung: Es gehört wenig dazu, das Leben der Menschen zu zerstören, die man am meisten liebt.

David Vann: Im Schatten des Vaters. Roman. Aus dem

Amerikanischen von Miriam Mandelkow. Suhrkamp Verlag,

Berlin 2011.

185 S., 17,90 €.

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