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Kultur: Von Bamako nach New York

Westafrikas erfolgreichster Pop-Export: Eine Begegnung mit Amadou & Mariam aus Mali.

„Es gibt zwei Musikrichtungen bei uns, eine moderne und eine traditionelle“, sagt Mariam Doumbia. Passenderweise trägt sie ein traditionell geschnittenes Designerkleid, während Amadou Bagayoko in einem Anzug aus schimmerndem Stoff neben ihr sitzt. Meist redet Bagayoko, der sich eloquenter ausdrücken kann. Seine 53-jährige Frau souffliert ihm, wenn er nicht weiter weiß und wirft Gedanken ein beim Gespräch in einem Kreuzberger Hotel. Die beiden Musiker aus Malis Hauptstadt Bamako sind seit über 30 Jahren ein Paar, musikalisch und privat – eigentlich ist es egal, wer redet, weil beide wissen, was der andere denkt.

Sie sind nach Berlin gekommen, um über ihr siebtes Studioalbum „Folila“ zu reden, das in New York und Bamako mit vielen europäischen sowie US-amerikanischen Gästen entstand. Es spiegelt die traditionellen und modernen Traditionen, mit denen sie aufgewachsen sind. So hörte Doumbia im Radio ihres Vaters neben malischen Popstars auch Nana Mouskouri und Dalida. Auf Familienfeiern sang sie die alten Lieder der Bambara, der Volksgruppe, der beide angehören. Bagayoko spielte in vielen Bands und eiferte, nachdem er zunächst traditionelle Percussion gelernt hatte, Gitarrenhelden wie Jimi Hendrix, Eric Clapton oder John Lee Hooker nach.

Ende der Siebziger treffen sich die beiden in der neu gegründeten Blindenschule von Bamako. „Ich habe dort zum Spaß gesungen und getanzt. Da hat mich Amadou, der ja schon professioneller Musiker war, für sein Orchester entdeckt“, erinnert sich Mariam Doumbia. Auch wenn beide aus der Mittelklasse stammen, erblinden sie aufgrund schlechter medizinischer Versorgung. Bei Doumbia wird als kleines Mädchen eine Masernerkrankung nicht behandelt, und Bagayoko erkrankt schon als Baby an Grauem Star und verliert sein Augenlicht als Teenager endgültig. Allerdings, so schreibt er in seiner Autobiografie „A part la lumière du jour“ (Fern des Tageslichts), habe seine Behinderung ihn auch an die Musik herangeführt, weil er vieles nicht machen konnte, was seine Klassenkameraden taten.

Das Paar heiratet 1980 und gründet eine Band. Als „das blinde Paar aus Mali“ machen sie sich in Westafrika einen Namen und schaffen in den Neunzigern den Sprung nach Europa. Durch Zufall: Der französische Produzent Marc-Antoine Moreau, mit dem sie bis heute arbeiten, sitzt bei einem Besuch in Mali neben Doumbias Schwester, die gerade Musik von Amadou und Mariam hört. Bald darauf landen sie in Frankreich mit „Je Pense a Toi“ einen Radiohit, der ihnen in der westlichen Musikszene die Türen öffnet: Manu Chao produziert 2004 ihr Album „Dimanche à Bamako“. Sie gehen mit Coldplay und U2 auf Tour, spielen mit David Gilmour und Johnny Marr, arbeiten mit Gorillaz-Chef Damon Albarn zusammen, treten bei der Friedensnobelpreis-Verleihung für Barack Obama auf und bei der Eröffnungsfeier der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland – kurz: Sie werden zum erfolgreichsten Musikexport ihres Kontinents seit Fela Kuti.

Zudem arbeiten sie daran, die Situation der Blinden in Mali zu verbessern. Als sie bereits im Westen bekannt sind, holen sie französische Sponsoren und internationale Stars zu Benefizkonzerten nach Bamako, was Bagayoko im Gespräch bescheiden herunterspielt. Von dem Geld werden Internate, Hilfsmittel und Behandlungskosten bezahlt. Seither habe sich die Lage erheblich verbessert, viel mehr Blinde könnten jetzt arbeiten und selbstbestimmt leben, erzählt er.

Für das neue Album haben sich gleich mehrere Verehrer aus der jungen, hippen angloamerikanischen Szene angemeldet, die bei den Aufnahmen mitwirken wollten, unter anderem Santigold, Jake Shears von den Scissor Sisters und Tunde Adebimbe und Kyp Malone von TV On The Radio, die kürzlich erst mit den malischen Tuareg Tinariwen zusammengearbeitet haben.

„Der ursprüngliche Plan war, zwei Alben aufzunehmen, ein traditionelles in Bamako und Paris und ein modernes in New York,“ erzählt der 57-jährige Bagayoko. In Bamako arbeiteten sie mit malischen Musikern, wie dem auch hierzulande bekannten Bassekou Kouyaté und Toumani Diabate, und nahmen „haargenau dieselben Songs auf, in derselben Tonart, mit demselben Aufbau“. Auch der französische Ex-Sänger von Noir Desir, Bertrand Cantat, kam zu ihnen nach Afrika.

In Paris entschloss man sich dann, beide Alben zusammenzumischen. Es passt: Djembe zu Schlagzeug, das Ballafon zum elektronischen Klang, moderne Raps zu traditionellem Gesang. Sprachlich herrscht Vielfalt: Englisch, Französisch und Bambara, ein paar Fetzen Arabisch. Von explizit politischen Aussagen wie sie Femi Kuti oder Tiken Jah Fakoly in ihren Songs machen, halten sich Amadou und Mariam fern. „Unser Anliegen ist es, für die Gesellschaft zu singen, über Solidarität zwischen den Völkern, Weltfrieden, Liebeslieder, Lieder, die den Menschen Hoffnung und Zusammenhalt geben sollen“, sagt Bagayoko.

Manchmal wenden sie sich auch direkt an die Politiker, die die Sorgen des Volk wahrnehmen und die Korruption beenden sollten. So singen sie auf „Africa mon Afrique“, einem Höhepunkt des insgesamt sehr berührenden Albums, gemeinsam mit Cantat davon, dass ein politischer und sozialer, mentaler und ideologischer Wandel notwendig sei und ein Wandel der Lebenseinstellung. Eine Forderung, die man auch universell verstehen kann.

„Folila“ ist bei Warner erschienen.

Barbara Mürdter

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