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Kultur: Von der Kunst, kein uncooler Zen-Horst zu sein

Sanft-ironische Wissensparty: Holm Friebe empfiehlt in seinem neuen Buch, ruhig, gelassen und locker zu bleiben.

Es geht hier um das Warten auf und Ergreifen des richtigen Moments. Kairos, wie der Alte Grieche ihn nennt. Nur nichts überhasten. Warten (aber bitte locker dabei bleiben!) und dann, zack, handeln. Der Clou: Wenn man beim Warten oder Abwarten sehr locker geblieben ist und den rechten Moment voll erwischt, dann handelt man nicht selbst, dann handelt es sozusagen durch einen hindurch. Dann geht man with the flow. Wow!

Neu ist das natürlich nicht. Im Gegenteil. Die Alten Griechen, wie gesagt. Zen, logisch. Meister Eckhart und seine Mystikernachfahren haben ein ähnlich paradoxes Vorgehen zur Gottesschau anempfohlen: Zur Ruhe kommen! Konzentrierte Nicht-Konzentration! Und was die Realisierung weltlicher Ziele angeht, wussten schon die Großeltern: Abwarten und Tee trinken. Das ist eine erprobte, also reißfeste Lebensweisheit, hört sich aber in unseren hysterisierten Zeiten nicht gerade prickelnd an. Viel ansprechender klingt doch: „Don’t believe the hype“! „Be here now!“, lausche auf den „Sound of silence“.

Holm Friebe hat ein neues Buch geschrieben. Friebe, Jahrgang 1971, ist Geschäftsführer der Zentralen Intelligenzagentur (ZIA) und Designtheoretiker. Bekannt wurde er mit dem Buch „Wir nennen es Arbeit“, das er mit Sascha Lobo veröffentlicht hat. Seitdem kennt die Welt die digitale Boheme. Danach veröffentlichte Friebe mit Philip Albers das lustige Buch „Was sie schon immer über 6 wissen wollten“, eine populärwissenschaftliche Abhandlung über die Wirkung- und Manipulationskraft von Zahlen in unserem Alltag. Darin fand sich zum Beispiel die Beobachtung, dass viel mehr Menschen im Supermarkt Marmelade kaufen, wenn nicht zwanzig Sorten, sondern nur sechs zur Auswahl stehen – alles jenseits der sieben werde als Überforderung empfunden.

Friebe und Albers nannten ihre Erkenntnisse „Partywissen“ – allein dieses Wörtchen verrät viel über den Erzählgestus von Friebe. Man weiß nie so genau, ob das, was er schreibt, ernst oder nicht als großer Witz gemeint ist. Die Ironie, der spätpubertäre Unernst weht einen auch aus Friebes neuem Buch an. Es heißt: „Die Stein-Strategie. Von der Kunst nicht zu handeln.“

Es ist ein lesenswertes, ein spannendes, lehrreiches Buch. Ob es ein wirklich gutes Buch ist, lässt sich schwer sagen. Die „Kunst, nicht zu handeln“ lernt man daraus zumindest nicht. Friebe packt zwar sein beträchtliches Wissen in Form und Rhetorik eines Ratgebers, aber das kichernde Echo ist nicht zu überhören. Statt Handlungsanweisungen serviert er Kalauer: „Die Stein-Strategie ist demnach ein Programm innerer Beständigkeit und langfristiger Überlegenheit. Sie versteht sich als Übung in Selbstdisziplin und Antidot gegen Ungeduld und Aktionismus, Unrast und Umtriebigkeit. Der Spur der Steine folgen heißt, Eigensinn und Gelassenheit erfolgreich zu kombinieren, den geschmeidigen situativen Wechsel zwischen Beharrlichkeit und Geschehenlassen zu praktizieren. (...)“

Gut, seien wir also Steine. Friebes Grundbeobachtung: Unser Alltag (und unser Selbstgefühl) wird von der Erwartung bestimmt, dass wir uns permanent verändern müssen, um beim „disruptiven Wandel“ der Gesellschaft und der sogenannten digitalen Revolution nicht den Anschluss zu verlieren. Nur der Paranoiker überlebt, so der Zeitgeist. Also: Machen, machen und ständig was entscheiden. Das ist laut Friebe „Bullshit Bingo.“ Denn: „In der Ruhe liegt die Kraft.“

Es ist beeindruckend, wie Friebe dem Leser nun den Wert dieser simplen Wahrheiten schmackhaft macht, ihn an das erinnert, was er ohnehin weiß, indem er auf diversen gesellschaftlichen Feldern – Wirtschaft, Politik, Beziehung – den Popanz des Aktionismus genüsslich zerschlägt, um aus seinen Scherben das Selbstverständliche dann als etwas Brandneues, Unerhörtes, selbst wieder Hippes hervortreten zu lassen: erst abwägen, dann entscheiden.

Ostasiatisches Wu Wei kombiniert er mit Losungen aus der Survival-Forschung: „Stay put“. Die meisten Verirrten werden gerettet, wenn sie bleiben, wo sie sind. Um Energie zu sparen, sollte man Entscheidungen so spät wie irgend möglich treffen – daraus ergibt sich ein ironisches Lob des Zauderns von Angela Merkel. Denn im Leben sei nicht erfolgreich, wer Pläne oder Visionen umsetzt und abarbeitet, sondern die jeweilige Situation aushält und aus ihr heraus den nächsten kleinen Schritt macht. Ein bisschen Spieltheorie hier, ein wenig postheroisches Management dort und viele Zitate. Als Gewährsleute zieht Friebe dabei die „Anleger-Legende“ Warren Buffett ebenso heran wie den Musiker und Autor Sven Regener.

Wenn ruhiges oder zögerliches Handeln so viel sinnvoller ist, warum richten wir uns nicht danach? Weil es Selbstdisziplin erfordert und Selbst-Bewusstsein, und weil wir uns in der alle Lebensbereiche infizierten Grundnervosität mit dem Irgendetwastun sicherer fühlen, obwohl das unterschwellige Unbehagen immer stärker wird. Wenn alle um dich herum verrückt spielen, wird Ruhebewahren zur Herkulesarbeit. „Von der Kunst nicht zu handeln“ ist natürlich ein Etikettenschwindel. Friebe singt das Loblied des bedächtigen Handelns und beschwört die Kunst eines anderen, intuitiven Handelns, das nicht nur „wirksam“ und „erfolgreich“, sondern auch leichthändig ist, von fließender Selbstverständlichkeit. Wie man aber diese Intuition stärkt und die Fähigkeit entwickelt, den „rechten Moment“ nicht nur zu erwischen, sondern ihn gewissermaßen selbst hervorzurufen – darüber kann oder möchte er lieber nichts schreiben.

Mit ein paar Tao-Prinzipien herumjonglieren, das geht. Aber wirklich ernst machen und sich der Gefahr aussetzen, als uncooler Zen-Horst da zu stehen, das ist auf dieser sanft-ironischen Wissensparty doch nicht vorgesehen. So ist kein großes Buch draus geworden, aber ein unterhaltsames und gewitztes. Andreas Schäfer

Holm Friebe:

Die Stein-Strategie. Von der Kunst nicht zu handeln. Hanser Verlag, München 2013. 214 Seiten, 14,90 Euro.

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