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Kultur: Von der sozialistischen Modellstadt zum Problemfall

Keine andere deutsche Stadt ist mehr ein Kind des gescheiterten sozialistischen Experiments, und das Eisenhüttenkombinat prägt sie noch heute: Eisenhüttenstadt. Entsprechend stark waren nach dem Zusammenbruch der DDR die Identitätsprobleme, von den wirtschaftlichen ganz zu schweigen.

Keine andere deutsche Stadt ist mehr ein Kind des gescheiterten sozialistischen Experiments, und das Eisenhüttenkombinat prägt sie noch heute: Eisenhüttenstadt. Entsprechend stark waren nach dem Zusammenbruch der DDR die Identitätsprobleme, von den wirtschaftlichen ganz zu schweigen. In dieser schwierigen Lage bildete sich die "Arbeitsgruppe Stadtgeschichte", die nun, rechtzeitig zum fünfzigsten Gründungstag des einstigen "Stalinstadts" im kommenden Sommer, eine Art erster Bilanz vorlegt.

Entstanden ist ein anregender Band, der ohne Anspruch auf Vollständigkeit viele Aspekte der Geschichte und vor allem des Alltags von Eisenhüttenstadt in relativ knapper, aber deshalb nicht oberflächlicher Form beleuchtet. In mancher Hinsicht sind das Erinnerungen, die repräsentativ für das Leben in der DDR-Provinz stehen können, seien es Wohnungs- oder Versorgungsprobleme, politische Querelen oder etwa der zähe Kampf der Bevölkerung um den Empfang des Westfernsehens. Zugleich war Eisenhüttenstadt aber natürlich keine x-beliebige Kommune, sondern die "erste sozialistische Stadt Deutschlands", eine Art auf der "grünen Wiese" errichtetes Gewächshaus für den "neuen Menschen".

Folgerichtig wurde die neue Siedlung schon von ihrer Stadtstruktur her auf das Werk ausgerichtet (vergleichbar barocken Stadtgrundrissen, wobei an die Stelle des Schlosses das Werkstor trat). Dem Stahlwerk verdankte sie ihre Entstehung und es bestimmte ihren Lebensrhythmus, zumal es sich ja hier um eine Industrie handelte, die schon aus technischen Gründen niemals Pause machen kann - Hochöfen kann man bekanntlich nicht "zwischendurch" abstellen. Städtebauliche Aspekte werden in dem Buch ebenso erläutert wie man vom schwierigen Familienleben unter den Bedingungen der Schichtarbeit erfährt, vom Pioniergeist, vom Leben in Barackenstädten, von kulturellen Bemühungen und davon, wie weit der ideologische Anspruch in Eisenhüttenstadt, das einmal ein Modell für die ganze DDR sein sollte, von der Realität entfernt war.

Doch auch die "Vorgeschichte" der Stadt wird beleuchtet: Die Historie des benachbarten Fürstenbergs, das etwa so alt ist wie Berlin, die Lager für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die es hier gab. Es wird erzählt, wie gut erhaltene Bausubstanz im "Aufbaueifer" (und Demontagefieber der "sowjetischen Freunde") nach Kriegsende gedankenlos abgerissen wurde oder man auf Gedeih und Verderb Arbeitskräfte fürs Stahlwerk zu rekrutieren versuchte - etwa durch Schließung der traditionsreichen Glashütte; viele dort Tätige sollen diese "Einladung" zur Mitwirkung an vorderster Front des "sozialistischen Aufbaus" mit Flucht in den Westen quittiert haben.Arbeitsgruppe Stadtgeschichte (Hrsg.): Eisenhüttenstadt - "Erste sozialistische Stadt Deutschlands". BeBra Verlag, Berlin 1999. 248 Seiten. 19,90 DM.

Jan Gympel

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