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Kultur: Von einem, der auszog die Welt festzuhalten

Geheime Blicke auf schöne Frauen: Die Galerie Arndt & Partner zeigt Fotos des tschechischen Sonderlings Miroslav Tichý

Wir werden nie erfahren, worüber die beiden auf der Parkbank so herzlich lachen. Auch nicht, wohin die Frau auf dem Fahrrad fährt und wem die Füße in den einfachen Sandalen gehören. Miroslav Tichý hat sie alle heimlich aufgenommen; aus der Hüfte manchmal mehr als hundert Bilder am Tag geschossen, dreißig Jahre lang. Fast ausschließlich sind es Frauen – oft in Badeanzug und Bikini im Freibad, tuschelnd mit Nachbarinnen oder geschäftig hinter einer Ladentheke. Die Fotografien stapelten sich ungeschützt an den Wänden seiner verkommenen Wohnung in dem 12000-Seelen-Örtchen Kyrow im südmährischen Tschechien. Sie lagen übereinander, klebten zusammen, bekamen Risse, wurden staubig und schimmelten. Wobei nicht immer auszumachen ist, welche Flecken erst später dazu kamen. Denn der 1926 in Brünn geborene Tichý bastelt seine Kameras aus Holzschachteln und Bierdeckeln selbst. Objektive entstehen aus Konservendosen, Linsen formt er aus Plexiglas und Brillengläsern, ein Drehknopf schon einmal aus einem Kronkorken. Die Fotos dieser Kameras sind unscharf, wie weichgezeichnete Traumbilder mit geradezu sphärischem Licht und von zeitloser Erotik. Oden an die weibliche Anmut, wobei die bei der Entwicklung entstandenen braunen Flecken der chemischen Flüssigkeiten, zerfließenden Farben und Fingerabdrücke dem Betrachter gleichzeitig immer wieder den technischen Prozess des Fotografierens vergegenwärtigen.

Heute hängen die anonymen Schönheiten in ihren aus Schuhkartons zugeschnittenen schmuddeligen Papprahmen an blitzsauberen weißen Wänden in New Yorker und Berliner Galerien und Privatsammlungen. Dabei kannte bis vor kurzem niemand diese Bilder. Der verstorbene Kurator Harald Szeemann hat Tichýs Arbeiten 2004 erstmals auf der Biennale in Sevilla gezeigt. Danach ging es schnell: Bei Arndt & Partner kostet ein Foto inzwischen bis zu 12000 Euro. Am 14. Juli eröffnet eine Einzelausstellung im Kunsthaus Zürich.

Tichý selbst hat sich lange dagegen gewehrt, auszustellen oder etwas zu verkaufen. Geld brauche er nicht und Kunst gäbe es genug, betont er heute noch. Vielleicht ist einfach zu viel in seinem langen Leben passiert, waren die Einbrüche zu tief: Nach dem Gymnasium beginnt er 1946 an der Kunstakademie in Prag zu studieren, malt expressive Frauenbildnisse und Stillleben und orientiert sich an Picasso und Matisse. Doch solch eine Malerei ist in den Fünfzigerjahren – dem Höhepunkt der Stalinära – nicht erwünscht. Seine Malerfreunde und er werden zunächst skeptisch beobachtet, dann Anfeindungen ausgesetzt. Mancher passt sich an und erfüllt den Wunsch nach sozialistischem Realismus. Tichý entzieht sich und legt sich mit der Polizei an. Er fliegt von der Akademie, kommt ins Gefängnis und wendet sich schließlich – zumindest äußerlich – von der Gesellschaft ab. Der von Frauen umschwärmte Student verwahrlost, hört auf sich zu waschen, lässt Haare und Bart wachsen und trägt nur noch einen einzigen Anzug, den er mit Draht flickt. Dann beginnt er zu fotografieren, die Realität manisch zu observieren, so wie man ihn selbst observiert.

Tichý wird zum Außenseiter. Über Jahrzehnte lang hat er immer wieder Ärger mit Behörden und Polizei. Mehrfach wird er in psychiatrische Kliniken und ins Gefängnis eingewiesen, manchmal nur für einen Tag, damit der „Steinzeitmensch“ das heile Bild einer Parade nicht störte. Insgesamt acht Jahre verbrachte er hinter Gittern, erzählt Tichý in einem Film, den sein Freund und Förderer Roman Buxbaum im letzten Jahr gedreht hat, und der ebenfalls in der Galerie zu sehen ist. Der heute in der Schweiz lebende Psychotherapeut stammt aus dem gleichen Ort wie Tichý und brachte die Bilder in den Westen. Er hat nun auch eine Stiftung für Tichý gegründet, wobei dieser es ablehnt, seinen gewohnten Ort noch zu verlassen. Mit seinen wilden weißen Haaren, den wenigen Zähnen und den billigen Bierflaschen wirkt er im Film wie Diogenes in der Tonne, ein Eremit, der sein Haus nur mit zwei Ratten teilt.

Die Konfrontation mit seiner Lebenssituation gehört gewiss zur Auseinandersetzung mit Miroslav Tichý. Die Schönheit der Bilder kann dabei fast aus dem Blick geraten. Denn die Armut beschämt den Betrachter und birgt gleichzeitig die Gefahr des unbewussten Ergötzens an der „Authentizität“ der Dreckflecken.Tichýs Augen blitzen in dem Film immer wieder auf, obwohl es mehr als ungewiss erscheint, dass sein später Erfolg ihn noch erreicht. Vielleicht aber auch deswegen.

Galerie Arndt & Partner, Zimmerstraße 90-91, bis 8. August, Dienstag bis Sonnabend 11–18 Uhr.

Katrin Wittneven

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