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Kultur: Von gespinstartigen Labyrinthen

Die Gratwanderung zwischen Wahn und Genie gehört zu den Mythologien der Moderne.Als Künstler muß man entweder verrückt werden oder seinem Leben selbst ein Ende setzen, um in seinem Geheimnis unsterblich zu werden.

Die Gratwanderung zwischen Wahn und Genie gehört zu den Mythologien der Moderne.Als Künstler muß man entweder verrückt werden oder seinem Leben selbst ein Ende setzen, um in seinem Geheimnis unsterblich zu werden.Nach dieser Logik schuf die Moderne sich ihre Heiligen, hießen sie nun Nietzsche, Kafka oder van Gogh.Um so überraschender ist es, wenn man auf künstlerische Einzelschicksale stößt, denen der zweifelhafte Lohn ihrer Leiden verwehrt geblieben ist.Die Berliner Künstlerin Unica Zürn ist so ein Fall.Der Berliner Öffentlichkeit ist kaum bekannt, daß in der psychiatrischen Klinik von Wittenau ein bildnerisches und literarisches Werk entstand, das den Heroen des Surrealismus in nichts nachsteht.In Frankreich, wo der weibliche Wahn seit dem Surrealismus ein beständiger Topos ist, weiß man schon eher Bescheid über die Frau an der Seite von Hans Bellmer, dem deutschen Surrealisten.Insofern ist es eine kleine Sensation, wenn die erste Retrospektive des zeichnerischen Werkes von Unica Zürn, die sich 1970 in Paris das Leben nahm, in Berlin, und zwar - und dies ist noch überraschender - in den Räumen der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) stattfindet.

1918 in Berlin-Grunewald geboren, verlebt Unica Zürn eine "glückliche Kindheit", wie es in ihren Aufzeichnungen heißt.Sie hat bereits ein ganzes Leben hinter sich, als sie im Alter von 37 Jahren 1953 den deutschen Surrealisten Hans Bellmer trifft, mit dem sie nach Paris geht.Ihr Leben als Künstlerin setzt zeitgleich mit dieser Beziehung ein, die als krankhaft-obsessionelle verklärt werden konnte.Seither war Unica Zürn die Frau an der Seite von Hans Bellmer.Eine eigenständige Bedeutung wurde ihrem Werk nur selten zugeschrieben.Doch allein beginnt Unica Zürn zu zeichnen und zu schreiben.

Das bildnerische Oeuvre Unica Zürns stand bis heute im Schatten ihrer Texte."Der Mann im Jasmin" - in der populären Reihe "Die Frau in der Literatur" als Ullstein-Taschenbuch erschienen - oder "Das Weiße mit dem roten Punkt" gelangten zu einiger Bekanntheit.Eine 1988 begonnene und auf acht Bände angelegte Gesamtausgabe der Schriften Unica Zürns wird im Berliner Verlag Brinkmann & Bose herausgegeben.Bei dem erstmals gezeigten bildnerischen Werk handelt es sich also um Marginalien einer Marginalen.In dem schmalen Schlauch der Räume der NGBK hat man die Bunstift-Arbeiten und Tuschezeichnungen, die Gemälde und Radierungen, Collagen und Grattagen, die Originalskizzenbücher, Notizhefte, sowie die Aufzeichnungen aus den Kliniken von Sainte-Anne aus Paris und Berlin-Wittenau zu einem Lebenswerk zusammengehängt.Die 240 Arbeiten stammen aus den Händen von Liebhabern und Sammlern, willigen Nachlaßverwaltern und unstreitlustigen Erben.

Dank der konzertierten Aktion gibt es das erste Gemälde von Unica Zürn, viele Arbeiten aus dem Kunsthandel und unzählige Arbeiten aus den intimen Kammern der Sammler zu sehen.Es ist eine angetastete Sensibilität, die sich in gespinstartigen Labyrinthen und amöbenhaften Wucherungen, fragmentierten Körpern und monströsen Alpträumen Ausdruck verschafft.Aufgrund der psychischen Dezentriertheit ihres bildnerischen Schaffens hat man Unica Zürn - ähnlich wie Antonin Artaud - den gesamten Diskurs des Poststrukturalismus ans Bein gebunden.Dabei schafft Unica Zürn ein Werk parallel zur Natur, dem es gelingt, "dasjenige aus der Welt zu entfernen, was der Mensch ihr hinzugefügt hat", wie es der Philosoph der Surrealisten, Georges Bataille, gefordert hatte.

Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Oranienstraße 25, täglich 12-18.30, bis 22.November.

KNUT EBELING

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