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Kultur: Von Händel bis Hildegard

Schuld an allem sind letztlich die Schweizer.Denn hätten die vor gut fünfhundert Jahren nicht den Großmachtträumen Karls des Kühnen ein jähes Ende gesetzt, wäre für Burgund alles ganz anders gelaufen.

Schuld an allem sind letztlich die Schweizer.Denn hätten die vor gut fünfhundert Jahren nicht den Großmachtträumen Karls des Kühnen ein jähes Ende gesetzt, wäre für Burgund alles ganz anders gelaufen.Dann stünde der Eiffelturm vermutlich in Dijon und das Palais Garnier in Beaune.Doch (wegen der Schweizer) tummeln sich jetzt die Frischverliebten aus aller Welt am Seineufer, und im zur Provinz herabgedrückten Burgund schauen sommers nur kleine Häufchen kulinarisch und kunstgeschichtlich interessierter Individualtouristen vorbei.Die besichtigen tagsüber die romanischen Abteien und wehrhaften Chateaus im Umland, verspeisen in den Michelin- und Gault Millaut- geadelten Landgasthöfen die regionalen Spezialitäten wie Gänsestopfleber (Foie gras) und Weinbergschnecken (Escargots) und beschließen die Abende stilgerecht mit alter Musik.Für die sorgt seit nunmehr sechzehn Jahren das Festival von Beaune, zusammen mit dem (etwas älteren) Festival von Saintes Frankreichs erste Adresse für Sommerkultur von Händel bis Hildegard.Mit den großen Kulturevents wie Aix-en-Provence und Avignon möchte man hier nicht verglichen werden: Die Veranstaltungen im Hotel-Dieu, der berühmten spätmittelalterlichen Hospizanlage richten sich an den Connaisseur und nicht an den Durchschnittstouristen.

So jedenfalls möchte es Monsieur Kader Hassissi, Directeur administratif des "Festival international de Musique Baroque" und lobt die Kennerschaft seines Stammpublikums über den grünen Klee.Vor allem das Viertel seiner jährlichen 15 000 Besucher, das aus Paris anreise, versichert Monsieur Hassissi, sei eine eingeschworene Alte-Musik-Klientel."Trotzdem sind wir natürlich auch über die wachsende Resonanz im Ausland erfreut.Etwa ein Fünftel unserer Besucher kommt aus den Benelux-Ländern, England und Deutschland, ein Anteil, den wir gerne noch vergrößern würden," versichert der eloquente Festival-Manager.

Der für ein Festival dieser Größenordnung ungewöhnlich kleine Etat von umgerechnet anderthalb Millionen Mark bestimmt in Beaune auch die Auswahl der dreizehn bis fünfzehn jährlichen Konzerte.Um dem anspruchsvollen Publikum die Creme der Alte-Musik-Szene anbieten zu können, ist man hier auf Koproduktionen mit anderen Festivals und großzügige Sponsoren ("Mäzene"- korrigiert Monsieur Hassissi sanft) angewiesen.Denn das Kulturministerium in Paris gibt lediglich einen Zuschuß von 600 000 Francs, auch Stadt und Region leisten nur bescheidene Anerkennungsbeiträge.Trotzdem hat es Beaune in den letzten fünfzehn Jahren immer wieder geschafft, die kommenden Größen der Branche heranzuziehen.Nicht ohne Stolz verweist Monsieur Hassissi darauf, daß Jordi Savall, William Christie und Rene Jacobs ihre Dirigierlaufbahn hier begonnen hätten.Ähnlich, prophezeit er, werde es Christophe Rousset ergehen, der nunmehr im dritten Jahr hier als eine Art Chefdirigent fungiert.Diese "Chef"-Position, die die Einstudierung einer Barock-oper pro Jahr beinhaltet, wird in Beaune traditionell auf drei Jahre vergeben.Für das nächste Jahr, so Hassissi, müsse man sich noch zwischen Marc Minkowski und Paul McCreesh entscheiden.

Eine Entscheidung, bei der sicherlich auch die Interessen der Schallplattenfirmen ins Gewicht fallen werden.Denn ohne deren Mitarbeit wäre das Festival in seiner derzeitigen Gestalt undenkbar.Die Aufführungen in Beaune werden meist nicht nur von Radio France mitgeschnitten, sondern auch noch von einem Barock-Label in der idealen Akustik der "Salle des Povres" nachproduziert."Es hat in französischen Blättern einige Stimmen gegeben, die meinten, wir seien völlig von der Schallplattenindustrie abhängig," erklärt Hassissi."Doch wer das sagt, verkennt grundsätzlich, wie unser Festival funktioniert." Denn ginge es nur nach den Wünschen der Firmen, würde man nur noch die populären Barockopern spielen können.Es sei im Gegenteil so, daß man für Ausgrabungen wie Tommaso Traettas interessante, aber wohl schwer verkäufliche "Antigone" und Händels "Admeto" so lange gesucht und verhandelt hätte, bis man eine Firma gefunden hätte, die sich bereit erklärt hätte, eine Produktion zu riskieren.

Die Vorschußlorbeeren, die man dem Festival in Anbetracht der Rechenkünste seines Verwaltungsdirektors erteilen möchte, verdorren freilich schnell, wohnt man der Aufführung des "Admeto" mit Christophe Rousset und seinen "Talens Lyriques" bei.Wieder einmal zeigt sich hier die in der Alten Musik eklatante Diskrepanz zwischen den perfekten Studioaufnahmen und den von verstimmten Instrumenten, kleinstimmigen Sängern und unprofessionellen Dirigenten geprägten Live-Erlebnissen.Wieder erstaunt es, daß ein hervorragender Solist wie Rousset als Dirigent nicht in der Lage ist, ein Orchester zu affektorientierter oder zumindest rhythmisch pointierter Ausdeutung einer Partitur zu bewegen.

Ein Glück da, daß Beaune seit seinen Gründerjahren ein zweites Standbein im Bereich der Renaissance besitzt.Hier ist an diesem Wochenende der wahre Festival-Schatz zu heben: Schönstimmiger und ausgewogener als vom "Ensemble a sei voci" und den Kindern der "Maitrise des Pays de la Loire" dürften die Werke des Renaissance-Meisters kaum irgendwo zu hören sein.Wie ein flamboyantes Rippengewölbe entfalten sich die polyphonen Verschlingungen der "Missa Gaudeamus", von den Franzosen mit atemberaubender Klangfeinheit und Transparenz im spätgotischen Armensaal des Hotel-Dieu zelebriert.Ein Abend, dem man in Burgund zwei akustische Michelin-Sterne verliehen hätte.Und das ist hier wohl das größte Kompliment.

Für Kurzentschlossene bietet das letzte Festival-Wochenende am 31.7 und 1.8.noch zwei Konzerte: Das "Ensemble al ayre espanol" mit spanischer Barockmusik und Händels "Solomon" mit dem Gabrieli Consort unter Paul McCreesh.Information: Beaune, Office de Tourisme.0033 - 380262133

JÖRG KÖNIGDSORF

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