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Kultur: Von Linien und der Phantasie des Entwurfs

Schon immer war dem amerikanischen Minimalisten Sol LeWitt die Idee wichtiger als die Ausführung. Und doch hat er auf Sinnlichkeit nie ganz verzichtet.

Schon immer war dem amerikanischen Minimalisten Sol LeWitt die Idee wichtiger als die Ausführung. Und doch hat er auf Sinnlichkeit nie ganz verzichtet. Seine Methode hat Schule gemacht. Jüngst tourte unter dem Titel "Do it" eine Ausstellung durch Europa. Sie bestand aus Konzepten namhafter Künstler, die das Publikum selber realisieren konnte. Doch es zeigte sich, daß das Publikum das, was es für Kunst halten möchte, doch lieber nicht eigenhändig machen will. Man fordert den Abstand zum Besonderen: Achtung.

Darin liegt der Unterschied zwischen Rezeptur und Konzept. Der nun fast 71jährige Sol LeWitt ist ein Künstler ohne Skandale und Personalisierungsdrang. Er geht nicht in Gesellschaft und macht von sich kein großes Aufhebens. Öffentlich soll nur seine Arbeit sein. Seit 1967 befaßt er sich mit der Vielfalt von Variationen, die einer Idee entspringen und suchte Formen, die durch systematische Kombinationen eine Fülle weiterer hervorbringen. Damit legte er die Grundlage für seine Rollen als Erfinder, Produzent und Chef einer gutgehenden Manufaktur. 1968 gab er die erste Anweisung für ein Wandbild. Sie lautete: "Linien in vier Richtungen, die die gesamte Fläche decken. Beachten: die Linien werden mit hartem Graphit gezogen (8H oder 9H), so nah wie möglich beeinander und ganz gerade."

Die Zeichnung ist also Resultat eines rationalen Vorgehens, ihre Größe variabel und von jedermann ausführbar. Solche Nüchternheit ließ vor drei Jahrzehnten dem, der an künstlerische Intuition, Genialität und Expression glaubte, das Blut in den Adern erstarren. Architekten dagegen verstanden sofort, was gemeint war. Ein Konstrukteur wie dieser wollte nicht Regungen des Innenlebens sichtbar machen, sondern methodisch Modelle entwerfen, in denen formale Zusammenhänge deutlich werden. Die Handschrift spielt dabei keine Rolle. Angesprochen ist die Phantasie beim Entwurf. Sie folgt einer logischen Ableitung, läßt sich nachprüfen und in anderen Zusammenhängen verwenden.

Deshalb konnte LeWitt werbewirksam sagen: "Die Idee ist eine Maschine, die Kunst macht." Dazu müssen die Anweisungen klar, die Modelle lesbar sein. Wie bei Architekten obliegt die Ausführung anderen. Dennoch sah man schnell, daß LeWitts realisierte Anweisungen erkennbar LeWitts blieben. Seine Folgerungen aus einer Reihe von Möglichkeiten waren konsistent in Mitteln und Referenzen. Und obschon er sich der Geometrie bediente, hatte man nicht den Eindruck, er zitiere. Deshalb ist es eine schöne Merkwürdigkeit, daß gerade die jetzt gezeigten großformatigen Aquarelle von LeWitts experimentierlustiger eigener Hand, allesamt Unikate aus dem letzten Jahr, gleichsam aus der Reihe tanzen. Mit federleichten Etüden stellt er die alten Fragen. Wann wird eine Farbanordnung Bild? Wie tariert man die Farbgewichte aus? Wieviel Blau ist gegen Gelb nötig zur Balance? Wann wird ein geschwungener Bogen dyamisch?

LeWitts frühe Werke altern nicht. Ausgeführte Varianten setzen gleichwohl Patina an. Zehn Sammler, die das gleiche Werk erwarben, besitzen durchaus nicht dasselbe. Jedes hat eine eigene Biographie, ist von anderen Möbeln, anderem Licht und anderen Gedanken umgeben. Daher liegt die Botschaft nicht mehr in der Polemik der Konzeptkunst gegen den Objektcharakter und die Warenwelt, sondern in der Wiederholung: um lebendig zu bleiben, müssen Ideen immer wieder neu gedeutet und geprüft werden. Manches sortiert sich aus. Werden die Objekte zerstört, bleiben die Anweisungen. Nichts ist verloren. Der Galerist hat das seinige dazugetan, indem er alle großformatigen Blätter hinter spiegelndes Glas setzen ließ. Der Raum fällt ins Bild und das Bild öffnet sich dem Raum. Die Blätter verlieren an Taktilität. Bewegung erschließt die Umgebung. Es ist ein Hin und Her von Bild und Raum mit dreigeteilter Autorenschaft. Teils LeWitt, teils der Galerist und teils der jeweilige Gast, der in der Ausstellung umhergeht und sich Gedanken macht. Trotz der raumbestimmenden Präsenz bleibt die Freiheit des Betrachters vor dem Bild gewahrt. Wie immer bei Konzeptkunst: Der Gedanke war am Anfang; aber das letzte Wort ist nie gesprochen.

Galerie Franck + Schulte, Mommsenstraße 56, bis 30.7.; Montag bis Freitag 11 - 18 Uhr, Sonnabend 11 - 15 Uhr.

PETER HERBSTREUTH

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