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Als es noch keine Smartphones gab. Personen warten vor einer gelben Telefonzelle, 1985.

© Jörg Schmitt/dpa

Von wegen belanglos!: Wie Alltagsobjekte das Stadtflair prägen

Von Ampel bis Telefonzelle: Architekturhistoriker Vittorio M. Lampugnani erforscht die Bedeutung und den Wandel kleiner Dinge im Stadtraum.

„Selbst so unscheinbar anmutende städtische Gegenstände wie Schachtdeckel erweisen sich bei näherem Hinschauen als ergiebige Geschichtenspeicher“, schreibt Vittorio Magnago Lampugnani in der Einleitung zu seinem neuen Buch „Bedeutsame Belanglosigkeiten. Kleine Dinge im Stadtraum“.

Ein solcher Satz könnte zum Schmunzeln anregen, aber Lampugnani meint ihn ernst und widmet das letzte Kapitel seiner Betrachtung eben den Schachtdeckeln.

22 Kategorien untersucht Lampugnani in drei thematischen Blöcken: „Mikroarchitekturen“ von der Trinkhalle bis zur Telefonzelle, „Objekte“ von Ampel bis Abfallkorb und „Elemente“ von der Einfriedung bis zum Bodenbelag.

Es gäbe noch viel mehr, und es ist überhaupt erstaunlich, wie viele verschiedenen solcher unbeachteten Bestandteile der Stadtgestaltung es gibt – unbeachtet, bis sie auf einmal fehlen oder verändert werden.

Nicht nur der Telefonzelle gilt bereits nostalgische Wehmut, steht sie doch nicht nur für ein Objekt, ein Stadtmöbel, sondern für eine spezifische Kommunikationsform, ja bis hin beispielsweise zur sonnabendlichen Wohnungssuche in Berlin, nachdem die ersten Exemplare der Sonntagszeitung mit den Wohnungsangeboten am Bahnhof Zoo verkauft wurden.

Geortet. Straßenschilder am Wittenbergplatz, um 1930.
Geortet. Straßenschilder am Wittenbergplatz, um 1930.

©  TT News Agency/SVT/Buch

Lampugnani, der als Architekturhistoriker lange Jahre an der renommierten ETH Zürich gelehrt hat und selbst als Architekt tätig ist, machte bei seinen wahrhaft paneuropäischen Studien die Entdeckung, dass gerade diese Alltagsobjekte, die man doch am ehesten als universell, jedenfalls nicht als ortstypisch vermuten würde, in ganz besonderem Maße das Flair einer Stadt bestimmen.

Was wäre Paris ohne seine Sitzbänke oder metallenen Baumgitter, was Berlin ohne die Wasserpumpen am Bordstein, was Zürich ohne seine eleganten Straßenbahnhaltestellen!

[Vittorio M. Lampugnani: Bedeutsame Belanglosigkeiten. Kleine Dinge im Stadtraum. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2019. 192 S., 30 €. Buchvorstellung 3. 12., 19.30 Uhr im Bücherbogen, Savignyplatz.]

Mit den Verkehrsbauten kommt allerdings etwas ins Spiel, das über die im Buchtitel behauptete „Belanglosigkeit“ weit hinausgeht. Schon die jugendstiligen Pariser Métro-Eingänge waren Inszenierungen. Später machte es London mit seinen zurückhaltenden Art-déco-Stationshäusern in den von der U-Bahn erschlossenen Außenbezirken nach.

Für die heutige Zeit steht Bilbao. Man vermisst im Buch allenfalls einen Hinweis auf die Wiener Stadtbahnhäuschen Otto Wagners. Die Übergänge sind fließend, die Kleinarchitektur eines bloßen Zugangs ist der Großarchitektur eines vollgültigen Bahnhofs stets verwandt.

Alle Epochen hatten ihre Vorlieben

In akribischer Genauigkeit schwelgt Lampugnani im Kapitel Straßenpflaster: Da kommt der Archäologe zum Zuge, der die antiken Straßen Roms ebenso kennt wie diejenigen der Renaissance und des Barocks. Alle Epochen hatten ihre Vorlieben, mal für Lavastein, mal für Sandstein oder Granit. Aber dass es im 19. Jahrhundert in Paris und London zur Pflasterung mit Holz kam, verwundert denn doch; als habe man nicht geahnt, dass Holz verrottet, zumal unter den Ausscheidungen der unzähligen Kutschpferde. Die Geschichte der Stadtmöblierung ist aufs Engste verknüpft mit jener der Hygiene.

Kürzlich lud Lampugnani zu einem Berliner Stadtspaziergang, bei dem er vom Pflaster über Straßenschilder, Abfallkörbe und Laternen bis zu dem kleinen Kiosk auf dem Savignyplatz, der heute einen Imbiss beherbergt, das ganze Repertoire der Stadtmöblierung vorführen und erläutern konnte.

Zukünftig muss man sein Buch als Vademecum mit sich führen, um auf all die vermeintlichen Belanglosigkeiten zu achten, die doch für die Eigenart einer Stadt so prägend sind. Oder prägend waren, wie die rasch verschwundenen Telefonzellen, die Litfaßsäule und bald wohl auch die verbliebenen Taxirufsäulen, die in Berlin nach dem Vorbild der ebenfalls Geschichte gewordenen Notrufsäulen gestaltet sind.

Ein Buch liegt vor, bei dessen Lektüre, ja schon beim bloßen Ansehen man merkt, wie sehr es bislang gefehlt hat.

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