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Posen. Giorgio Albertazzi und Delphine Seyrig in „Letztes Jahr in Marienbad“. Foto: defd Deutscher Fernsehdienst

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Kultur: Vor 50 Jahren in Marienbad

Das kuriose „Making of“ eines Filmklassikers

Es ist kalt im Winter 1960 in München, als in den Schlössern Schleißheim und Amalienburg an Alain Resnais’ „Letztes Jahr in Marienbad“ gedreht wird. Wohnwagen und ähnliche Kommoditäten gibt es nicht. So müssen die Darsteller wegen der aufwendigen Licht- und Technikkorrekturen lange in der Kälte warten, eine Einstellung kann Tage dauern. Die junge Nebendarstellerin Françoise Spira vertreibt sich die Zeit mit der eigenen Super8-Kamera. Nach ihrem Suizid zwei Jahre später galt ihre Arbeit als verschollen, während Resnais’ Film mit dem Goldenen Löwen von Venedig und den Stimmen von Delphine Seyrig und Giorgio Albertazzi zu ewigem Weltruhm aufstieg.

Berlin, Akademie der Künste am Hanseatenweg. Drei Männer sitzen auf dem Podium: der deutsche Filmregisseur Volker Schlöndorff, der Literaturarchivar Oliver Corpet und der französische Philosoph Bernhard-Henri Levy, der zuletzt als missglückter Kant-Kritiker von sich reden machte. Heute tritt er als Retter eines verlorenen Schatzes auf und verrät Vermessenheit höchstens im Vergleich seiner „unglaublichen Geschichte“ mit der der chilenischen Bergleute. Es geht um sieben Super-8-Filmspulen, die Spiras letzter Lebensgefährte vor zwei Jahren im Keller fand und dann über Umwegen zu Corpets IMEC-Archiv und dessen Freund Levy brachte. Das stumme und im Gegensatz zu Resnais’ abgezirkelter Inszenierung wunderbar lebendige Material hat beide sofort fasziniert, war aber unvermittelt kaum verständlich. Was also tun?

Irgendwann kam den beiden der damalige zweite Regieassistent Volker Schlöndorff in den Sinn, der als Protegé des Scriptgirls einen Job bekommen hatte. Auf den Bildern steht der 21-Jährige meist mit Dreitage-Schnauzer scheinbar untätig im Set herum. Aber das täuscht. Zumindest erwies sich der damalige Gehilfe auch als Archivar, der Drehtagebücher und -protokolle aufbewahrte und dem Frankfurter Filmmuseum übergab. Gemeinsam mit seinen Erinnerungen eine gute Grundlage für das ungewöhnliche „Making Of“ eines der prominentesten Filme der Filmgeschichte, das nun in Gegenwart seiner Geburtshelfer in der Akademie seine deutsche Premiere feierte.

„Wolkähr“, wie Levy den Regisseur nennt, wurde auch die Umarbeitung zu einem 40-minütigen Filmstück anvertraut, das die originalen Takes unzerstört aufnimmt. Schlöndorffs persönlich gehaltener Audiokommentar verbindet Respekt vor der damaligen Regie- und Teamleistung mit amüsierter Distanz zu jeglichen hagiografischen Anwandlungen. Distanz auch zu der Hingabe, mit der Resnais und „Hauptkomplize“ Sascha Vierny Kameratechnik statt Darsteller ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit rückten: Kino als Sandkasten für große Jungs, die Filme machen, statt Burgen zu bauen. Und zwar mit erheblichem Aufwand. Für eine Kamerafahrt wurden hunderttausende Kiesel auf Sperrholz gemalt, riesige Podeste sorgten für die richtigen Architekturperspektiven. Spiras Aufnahmen sind in ihrer Intimität reizvoll kontrastierend und zeigen auch die von Resnais in erstarrten Posen gedrehte (und von allen angehimmelte) Hauptdarstellerin Delphine Seyrig als quirligen Wirbelwind. In einer Einstellung hat auch Seyrig eine Kamera in der Hand. Silvia Hallensleben

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