zum Hauptinhalt

Kultur: Vor 50 Jahren starben Richard Strauss und Hans Pfitzner - die letzten Erben Richard Wagners

An einem Sommertag des Jahres 1942 hielt ein großer Mercedes vor dem Konzentrationslager Theresienstadt. Ihm entstieg ein würdiger alter Herr und stellte sich der Wache vor als Richard Strauss.

An einem Sommertag des Jahres 1942 hielt ein großer Mercedes vor dem Konzentrationslager Theresienstadt. Ihm entstieg ein würdiger alter Herr und stellte sich der Wache vor als Richard Strauss. Er wünschte einige hier inhaftierte Angehörige mitzunehmen. Der 77jährige hoffte, man werde sich seinem Ruhm beugen.

Das war nicht so. Hier und anderswo wurden 26 Angehörige der Familie seiner Schwiegertochter ermordet. Ebenfalls 1942 starb in Theresienstadt Paul Cossmann, ehemaliger Freund eines weiteren berühmten Komponisten. Hans Pfitzner sagte dazu auf Befragen nur, Cossmann sei "sanft entschlafen", in Dachau, wie er annehme.

Beim einen groteske Naivität, beim anderen groteske Gleichgültigkeit - so zeigen sich vor dem Hintergrund des Mordens zwei der wichtigsten deutschen Komponisten, die letzten Erben Richard Wagners. Pfitzner und Strauss überlebten das Dritte Reich bis zum Jahr 1949. Pfitzner starb am 23. Mai 1949 mit 80 Jahren, Strauss am 9. September mit 85 Jahren.

Ein schwieriges Paar. Wer vermessen möchte, wie nahe oder fern sie dem Nationalsozialismus waren, wird mehrere Maßstäbe brauchen. Wie die meisten sind Strauss und Pfitzner weder so richtig böse noch so richtig gut, wie man es gern hätte, um etwas zu bewältigen. Eher zeigt sich an ihnen, wie Selbstbezogenheit Künstler erblinden lässt gegenüber ihrer Zeit.

Pfitzner, Jahrgang 1869, verehrte Schopenhauer. Das Konservatorium verließ Pfitzner ohne Auszeichnung, mühsam erarbeitete er sich einen Platz im Musikbetrieb und konnte nur staunend dem fünf Jahre älteren Senkrechtstarter in München zusehen. Strauss war kein Schopenhauerianer, sondern Sonntagskind, Mittelpunkt einer wohlhabenden Familie. Er studierte sein Handwerk nicht, es flog ihm zu.

Schon der Achtzehnjährige hörte seine Musik von Bülow aufgeführt, der 23jährige schrieb mit "Don Juan" ein Orchesterstück von solcher Genialität, dass sozusagen nichts mehr schiefgehen konnte. Kaum dass er, vierzigjährig, im Ruhm zu ersticken drohte, ließ er "Salome" und "Elektra" explodieren, glühende neue Musik. Pfitzner hingegegen war zwar nicht erfolglos - Mahler brachte 1905 seine "Rose vom Liebesgarten" heraus, in Straßburg machte man ihn zum Opernchef -, aber auch nicht berühmt. Er begann, sein Selbstwunschporträt zu entwerfen: den Künstler, der von den Zeitläufen gezwungen wird, über sich hinauszuwachsen.

Unterdessen fuhren Sonderzüge mit Opernfans zum "Rosenkavalier" nach Dresden, wo die Kritik feststellte, dass Strauss kein Avantgardist mehr war. Der Star hatte sich von seinen Abgründen abgewandt und zog sich in die "Alpensinfonie" zurück. Währenddessen und mitten in Pfitzners Arbeit an "Palestrina" begann der Krieg - ein erster Weltkrieg, in dem Pfitzner sich, wie seinen Palestrina, als Gestalt in großem Zusammenhang sah. Er wurde dabei "vom nationalen Künstler zum antidemokratischen Nationalisten". So formulierte es, damals noch anerkennend, Thomas Mann, tief beeindruckt vom 1917 uraufgeführten "Palestrina". Es ist keine verherrlichende Musik.

Sie ist offen, poetisch, traurig, ihre Strenge ist die von Ruinen, nicht von Ideologie. Aber Kunst ist oft klüger als ihre Schöpfer - Pfitzner wetterte zur gleichen Zeit öffentlich gegen Künstler, die sich um neue Wege bemühten. Er wurde nach der Kapitulation erst recht zum Nationalisten.

"Die künstlerische Verwesung ist das Symptom der nationalen", schrieb er 1919 in seiner "Neuen Ästhetik der musikalischen Impotenz" und sah die Schuld auch beim "jüdisch-internationalen Geist". Mit Rücksicht auf seinen Freund Cossmann nahm er die "deutsch national empfindenden" Juden in Schutz. Eine verbreitete Geste, mit der sich der Rassismus salonfähig machte.

Adolf Hitler störten solche Höflichkeiten nicht. Er besuchte den Komponisten 1923, war allerdings enttäuscht, weil Pfitzner "wie ein Rabbiner" aussehe. Der Vorzeigekomponist, für den sich die Nationalsozialisten 1933 entschieden, war ein anderer.

Richard Strauss hatte während des Kriegs sein Großmärchen "Frau ohne Schatten" komponiert und sein in England angelegtes Geld verloren, das er sich als Dirigent erneut verdiente. Als Tonsetzer wurde er zum Denkmal seiner selbst, freilich einem unablässig komponierenden. Dieses Denkmal ließ sich 1933 zum Präsidenten der Reichsmusikkammer machen. Im selben Jahr rettete Strauss den Bayreuther Sommer als Ersatzdirigent für den empört fernbleibenden Toscanini und unterschrieb wie Pfitzner einen Protestbrief gegen Thomas Mann: Der berühmte Autor hatte sich kritisch zu Richard Wagner geäußert.

Ein Jahr später überraschte es Strauss, "dass der Arierparagraph verschärft werden soll". Das nannte er "Dilettantenunfug". Eine professionelle Sicht der Dinge, die von Naivität nicht mehr zu unterschieden ist. In einem Brief an seinen jüdischen Librettisten Zweig beteuerte er, den Präsidenten nur zu "mimen", um "größeres Unglück zu verhüten". Den Brief fing die Gestapo ab. Strauss musste seinen Posten räumen, wurde aber weiter nicht behindert und schuf während des Angriffs auf die Sowjetunion sein heiteres Künstlerspiel "Capriccio". Mitunter schlägt auch hier das Gediegene noch ins Geniale um; dennoch - weder Pfitzner noch Strauss erreichten nach 1933 auch nur annähernd ihr einstiges Format.

1929 waren immerhin noch "Arabella" (Strauss) und "Das Dunkle Reich" (Pfitzner) entstanden, aber Pfitzners 1935er Cellokonzert war nur noch ein fahles Alpenglühen ohne Gipfel. Der Komponist fühlte sich im Dritten Reich auch keineswegs so wohl, wie er das erwartet hatte. Da er sich um seine Münchner Professuren kaum kümmerte, wurde er mit 65 in den Ruhestand versetzt.

Auf seinen Protest hin erhielt er harsche Post von Göring und schrieb zurück, der Brief scheine "in Inhalt und Ton wie an einen Gauner gerichtet". So mutigem Eintreten für den guten Ton steht die gute Freundschaft gegenüber, die Pfitzner mit Hans Frank, dem "Polenschlächter", pflegte.

Als Luftangriffe sein Haus in München zusammenstürzen ließen, kalauerte er: "Und da behaupten die Leute, mir falle nichts mehr ein." In Garmisch fielen keine Bomben. Das Haus von Strauss blieb verschont, und der Komponist empfand es als Zumutung, als man Flüchtlinge einquartieren wollte. Nur ein paar Minute entfernt befand sich das Lager, in dem 1945 Pfitzner vorübergehend unterkam.

Und eigentlich ist es ja so geblieben. Der magere Pfitzner in der Baracke, bis heute mit Argwohn verfolgt, der stattliche Strauss in der Villa, etwas angestoßen zwar, doch so behaglich, wie er immer war. Ein Verbitterter und ein Verwöhnter - zwei Positionen, zwischen denen eine katastrophale Geschichte ihren Lauf genommen.

Volker Hagedorn

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false