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Kultur: Vor dem Schlußpfiff

In der Nachspielzeit geschieht oft das Wichtigste.Beim Fußball fällt endlich das entscheidende Tor, wird aus einem zähen Gekicke noch eine nervenkitzlige Angelegenheit.

In der Nachspielzeit geschieht oft das Wichtigste.Beim Fußball fällt endlich das entscheidende Tor, wird aus einem zähen Gekicke noch eine nervenkitzlige Angelegenheit.Und in irgendeinem angesagten In-Restaurant erschließt sich dem ratlosen Theatergänger bei zunehmendem Alkohol- und Konversations-Pegel endlich Sinn und Unsinn einer Inszenierung.Wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise.Je länger der Disput über Bühnenbilder und Spielszenen dauert, desto mehr haben zum Beispiel die Ehepaare Shredman und Guteman den Eindruck, völlig verschiedene Stücke gesehen zu haben.Was dem einen eine funkelnde Sternstunde des Theaters, ist dem anderen breiter Quark.Und wo einer von Poesie schwärmt, stöhnt der andere über piefigen Kitsch.Aber das ist natürlich nur ein harmloses Vorgeplänkel zum eigentlichen Nachspiel.Das hat dann wenig mit dem Theater, aber viel mit dem Leben und der Angst vor Alter und Tod zu tun.

Mit 65 Jahren hat die amerikanische Schauspielerin Anne Meara mit "After-Play" ihr erstes Theaterstück geschrieben.Es wurde 1995 zum Überraschungshit in New York und wird auch hierzulande von Hamburg bis Düsseldorf allerorten gern nachgespielt, nun auch in einer von Hans Hollmann besorgten Inszenierung am Renaissance-Theater.Das verwundert kaum.Denn das well made play sprüht vor dialogischer Raffinesse und hintergründigem Humor, und wenn die auf ihre Show-Karriere zurückblickenden, ihre bisherigen Krebs- und Herz-Operationen ausbreitenden, ihre toten Kollegen betrauernden und über ihre verkorksten Kinder lamentierenden Shredmans und Gutemans ihrem Weltschmerz immer wieder mit beißendem Sarkasmus die Stirn bieten, hat man das Gefühl, Anne Meara hätte Nachhilfestunden beim Pointen-Puzzler Woody Allen genommen.

Dem bitterbösen schnellen Ping-Pong-Spiel über Theater und Tod versucht Hollmann durch Tempoverschleppung und bedeutungsschwangere Pausen Tiefe einzuhauchen.Sebastian Wirnitzer, ein Engel in Kellnergestalt namens Raziel, darf deshalb das Konversations-Karussell immer wieder mit grinsendem Alleswissen, kleinen Zaubertricks und erotisierendem Tembre unterbrechen.Die in nachtblauem Schickimicki-Halbrund (Bühne: Hans Hoffer) versammelten, an einen futuristischen Tisch festgenagelten Diskutanten müssen immer wieder neu Fahrt aufnehmen, kommen aber doch nicht recht vom Fleck.Sie müssen einfach zu viele Themen, von Bypass und Brustamputation bis Therapie und Tod, durchhecheln und sind als Personen von schlichter Eindimensionalität.Angelika Milster (Renée) tarnt ihre Trauer mit burschikoser Resolutheit, Friedhelm Ptok (Phil) seine Verzweiflung mit philosophischem Zynismus.Reinhild Solf (Terry) gibt die ökologisch-psychotische Nervensäge und Hans Stetter (Marty) den kindischen Greis.Sie alle wollen nicht mehr sein als gut gestylte Abziehbilder von Klischeefiguren, die unter den Nöten des Alters und der Frechheit der Jugend leiden.

Einmal aber bekommt die durchsichtige Fassade einen feinen Riß.Da stolpert das Ehepaar Paine an den Tisch der von Hölzchen zu Stöckchen springenden Oberflächen-Kratzer und bringt wirklichen Schmerz ins wohltemperierte Gerede.Susanne Tremper (Emily) schreit und sabbert den Aids-Tod ihres Sohnes aus sich heraus, und Horst Schultheis (Mathew) steht als Denkmal seiner Ratlosigkeit stumm und geschlagen in der Gegend herum.Jedes Nachspiel, auch wenn es im Niemandsland zwischen Himmel und Hölle stattfindet, hat irgendwann ein Ende.Deshalb bringt der von kirchlichen Chorälen begleitete Engel Raziel die Mäntel, lächelt und löscht das Licht.Ist doch eh alles nur Theater.

FRANK DIETSCHREIT

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