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Kultur: Vor den Vätern leiden die Söhne

Kammerspiel und Gesellschaftspanorama: Jan Schütte verfilmt Leon de Winters jüdische Familiensaga „Supertex“

Jeder Sohn, hat George Tabori einmal im Sinne Freuds gesagt, will irgendwann seinen Vater umbringen. Und Tabori, dessen Vater in Auschwitz endete, fragt: Was geschieht mit dem Sohn, wenn andere das für ihn erledigt haben? Es ist die Freiheit und der Fluch des Überlebenden.

Auch Max Breslauer möchte sich von seinem Vater befreien. Doch Simon Breslauer aus Galizien hat als Junge die Mordlager der Nazis überlebt; inzwischen ist der alte, brachial vitale Mann in Holland zum Textiltycoon geworden und herrscht über seine Söhne Max und Boy (alias Benjamin). Der kleine Boy ist in der väterlichen Firma „Supertex“ der Chefbuchhalter, der außer Zahlen nichts zu melden hat – während der erstgeborene Max zum künftigen Kopf des Unternehmens bestimmt scheint. Aber von dessen Empfehlungen, Teile der Firma in den Zeiten der Globalisierung zu verkaufen, will der Alte nichts hören. Und noch weniger von Moral- und Geschmackspredigten jener Jüngeren, die nie Armut, Verfolgung und Todesangst erlebt haben.

Amsterdam im Herbst, ein Auflodern und Abdämmern. Die Stadt mit den kultivierten Braun- und Goldtönen gibt Jan Schüttes Film „Supertex“ das Kolorit für einen Kampf der Generationen und Kulturen. Und so dünn die Wand sein mag zwischen Simon Breslauers Büro und der trüben Lagerhalle mit den in nordafrikanischen oder asiatischen Sweatshops geschneiderten Jeans und Billigblusen der Supertex-Kette, so hart ist die Firnis des neuen Wohlstands. „Du kannst mit Lumpen handeln und in Seide gehen“, lautet Simon Breslauers Devise, ein Bonmot, das er wie die meisten seiner Sprüche zweimal sagt. In zwei Sprachen. Wenn der Vater bei solchen Sätzen ins Jiddische wechselt, wird der elegante Zynismus auch: zur Überlebensweisheit.

Breslauer bietet Max dann gerne eine Havanna an. Halb Versöhnung, halb Verhöhnung, weil zu stark für den smarten Sohn. „Eines Tages wirst auch du sie rauchen!“, prophezeit der Patriarch. Aber Max will kündigen. Simon, den die Industrie- und Handelskammer von Amsterdam mit einer Gala ehrt, sagt in der Dankesrede, seine Söhne läsen ja Bücher, doch „meine Universität war die Straße“. Er meint das Ghetto, das KZ: Orte, von denen die Honoratioren der alten und neureichen jüdischen Community in Amsterdam nicht mehr sprechen.

Dennoch wissen ihre Kinder, was sie ahnen. Als Max die Firma, die so erfolgreich mit „Lumpen“ handelt, verlassen will, schreit ihm der Vater nach, er solle nie vergessen, wem er seinen Wohlstand verdanke, der saubere, smarte Herr Sohn! Wie der bullig untersetzte Flame Jan Decleir, dessen Figur und Graukopf an den Schriftsteller und Boxer Norman Mailer erinnern, diesen fightenden Vater spielt, mit mal bürgerlichem, mal biblischem Zorn und einer untergründigen proletarischen Wucht, das hat Größe. Und wirkt trotzdem nicht völlig erdrückend.

In Leon de Winters zuerst 1991 in Holland erschienenem Roman „SuperTex“, den sich Jan Schütte jetzt souverän an- und umverwandelt hat, war Max noch mit Übergewicht und Potenzstörungen geschlagen und erzählte seine liebe Not rückblickend einer Psychoanalytikerin. Kuriert wird er nach Simons Unfalltod, zumal er dann mit der Firma auch des Vaters Geliebte übernimmt. Bei Schütte braucht es keine Psycho-Couch und keine Rückblenden, und die Hauptfigur Max Breslauer ist wie die ganze Geschichte verschlankt, befreit auch von ein paar spekulativ wirkenden Peinlichkeiten. Kein Fett- und Trauerkloß kämpft hier mit dem Übervater. Der Engländer Stephen Mangan gibt den Mittdreißiger Max erotisch attraktiv, ein schwarz gelockter Jurist der New Economy Generation, dessen cooler, fast schroffer Egoismus die Kehrseite einer tieferen, dunkelgründigen Verletzlichkeit ist.

Eines Morgens rast Max in Wut über den Vater, über dessen heimliche Geliebte, die polnische „Schickse“ Maria (blond und blass: Ana Geislerova) im silbernen Porsche durch Amsterdam; er ist abgelenkt auch durch jüngsten Ärger mit seiner Freundin Esther (schön, dunkel, blass: Meital Berdah), die es später nach Israel zieht: Da kracht es. Er hat einen Jungen im schwarzen Kittel, einen orthodoxen Juden auf dem Weg zur Synagoge angefahren. Als Max sagt, auch er sei Jude, beschimpft ihn die chassidische Familie. Ein rasender Jude am Sabbat, ja, „ein Jude im Porsche!“, und der Angefahrene tritt Max eine Beule in die Wagentür.

Das wird zum Zeichen. Eine Delle auch in Maxens heutiger, holländisch heiler und doch mit dem Vater verbundener Seele. Diesem oft strapazierten Motiv der Identitätssuche folgt Schütte in seiner dichten Familiengeschichte ohne Aufdringlichkeit, in allmählichen An- und Ausdeutungen. Was die väterliche Geliebte angeht, gibt es in einer Amsterdamer Nachtbar eine fulminante Verwechslung; was die Schwäche (oder Stärke) des alten Simon betrifft, den nicht der „Duft der Frauen“, sondern der eigene Geruch, der in jüngeren Armen zu betäubende „Geruch des Alters“ umtreibt, erzählt der Film zwischen Vater und Sohn eine kühle, nuanciert unpathetische Annäherung. Eine Fast-Versöhnung. Dann erleidet Simon eine Herzattacke, stirbt langsam. Und langsam leben die Nachgeborenen auf, leben sie dem Vater nach.

Doch anders, als gedacht. Der vermeintlich super(tex)-angepasste Boy Breslauer entpuppt sich bei einer märchenhaften Morgenlandfahrt als Ausreißer, als spätromantischer, spätreligiöser Fall für Liebe, Glaube, Hoffnung. Sein erstes Licht geht ihm hierbei auf, als er auf den Straßen der Medina von Casablanca einen Kanaldeckel entdeckt, dessen eisernes Ornament das vertraute Zeichen seines Beinahe-Schwiegervaters trägt. Jener jüdische Herr van Gelder hat als Kanaldeckelfabrikant weltweit noch mehr Millionen als sein Freund Breslauer gemacht, doch auch er, von dem alten wunderbaren Otto Tausig gespielt, ist ein bisschen sonderbar geworden: Er züchtet Hühner im ehemaligen Gästeswimmingpool seiner Villa. Und der absonderliche Boy wird zusammen mit seiner neuen Braut Sulamith und dem neuen Schwiegervater David in Marokko zum mobilen Toiletten-Unternehmer. Elliot Levy spielt diesen glücklichen Narren mit der heiligen Einfalt eines Enkels von Harpo Marx. Worauf die schöne Witwe Simon Breslauers (Maureen Lipman) sagt: „Und ich habe mich mein Leben lang um den falschen Sohn gesorgt!“

Nicht der brave Boy, sondern Max war die Lieblingssorge. Jan Schüttes milieusichere holländisch-jüdische Familiensaga mit internationaler Besetzung wirkt vor dieser Überraschung noch eine Spur zu gediegen. Man hätte sich das gesamte Drehbuch etwas unberechenbarer, ja: „meschuggener“ gewünscht. Doch die Wendung vom psychologischen Kammerspiel zum Gesellschaftspanorama gelingt – und damit auch ein ironischer Reflex auf die Filmgeschichte. Denn als Max Breslauer am Ende, zur Verblüffung der Geschäftspartner und Konkurrenten, auch das Erbe seines toten Vaters antritt, erscheint der brillante Stephen Mangan plötzlich als Wiedergänger des jungen Al Pacino. In seinem Lachen glitzert die Lust des neuen Paten. Ihm möchte man im Kino gerne wiederbegegnen, aber im Leben nicht zum Feind haben.

Balazs, Kant, Kulturbrauerei

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