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Er prägte eine ganze Ära: Bernd Neumann ist seit 2005 Kulturstaatsminister.

© picture alliance / dpa

Vor der Wahl: Bilanz der Kulturpolitik: Wird Bernd Neumann erneut Kulturstaatsminister?

Acht Jahre war Bernd Neumann Kulturstaatsminister. Der CDU-Politiker verschaffte sich Respekt in seinem Amt. Ob der 71-Jährige seinen Posten behält, hängt vom Wahlergebnis ab. Die SPD schickt den Kandidaten Oliver Scheytt ins Rennen.

Eins ist sicher. Kulturschaffende im Ruhrgebiet tun gut daran, morgen die SPD zu wählen. Sollten die Sozialdemokraten den künftigen Kulturstaatsminister stellen, können sie auf einen Geldsegen hoffen. Oliver Scheytt, der Kulturmann in Peer Steinbrücks Kompetenzteam, kommt aus der Kommunalpolitik, hat das Kulturhauptstadtprogramm „Ruhr 2010“ gestemmt und macht sich für die Region stark, für Zeche Zollverein, Ruhrfestspiele und Pina Bauschs Tanzcompagnie.

Aber hat die Kunst eigentlich die Wahl, abgesehen davon, dass ein neuer Kulturstaatsminister aus dem linken Spektrum eher unwahrscheinlich ist? Bei der Stärkung des Urheberrechts, der Künstlersozialkasse und den Ausnahmeregelungen für die Kultur beim Freihandelsabkommen sind die Lager sich weitgehend einig. Trotzdem ist es noch keinem gelungen, die finanzielle Basis der Kreativen in Zeiten des Internets und der Globalisierung zu festigen. Alle machen Bemühenszusagen – und bei Schwarz-Gelb mauert die FDP. Auf die Gedenk- und Erinnerungskultur legt die CDU großen Wert, aber auch der SPD ist das deutsche Weltkulturerbe samt Denkmalpflege eine Herzenssache.

Mehr Tradition und Repräsentation hier, mehr Avantgarde und Kiezkultur da, wenn Oliver Scheytt diese Stereotype anführt, hat das etwas Vorgestriges. Das Kulturverständnis und die -programme der großen Parteien unterscheiden sich kaum. Als Alleinstellungsmerkmal fällt höchstens das Versprechen der SPD ins Auge, das Koalitionsverbot aufheben zu wollen, sprich: seitens des Bundes mehr für kulturelle Bildung in den Kommunen zu tun. Aber noch gilt die Kulturhoheit der Länder, das Grundgesetz ändert sich nicht so leicht. Auch Schwarz-Gelb hatte im Koalitionsvertrag von 2009 eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Ländern versprochen, leichteren „Zugang zu kulturellen Angeboten, unabhängig von finanzieller Lage und sozialer Herkunft“. Und alle, auch die Grünen und die Linke, wollen die Kommunen entlasten. Wahlversprechen halt.

Neumann beherrscht die Kunst des Tiefstapelns

Bernd Neumann, acht Jahre auf dem Posten des 1998 von Rot-Grün aus der Taufe gehobenen, anfangs eher schillernden (und schlingernden) Kulturstaatsminister-Amts, war Konsolidierer, Netzwerker, Macher, Geldbeschaffer. Dem Amt hat er Respekt eingebracht; anfangs belächelt oder überschätzt, ist es heute eine Selbstverständlichkeit. Der Ruf nach einem vollwertigen Kulturminister ist fast verstummt; als Appendix des Bildungsministeriums wäre das Amt eine kleinere Nummer als jetzt, mit Sitz im Kanzleramt.

Neumann steigerte seinen Etat kontinuierlich auf 1,28 Milliarden Euro, er beherrscht die Kunst des Tiefstapelns, des Schmiedens von Koalitionen und Kompromissen. In die Kulturpolitikgeschichte geht er nicht als Mann der denkwürdigen Auftritte ein – da haftet dem Bremer CDUUrgestein bis heute etwas Jovial-Biederes an –, sondern als einer, der zähe Überzeugungsarbeit leistet. Sei es bei Investitionsprogrammen, von denen die Kultur in der Fläche profitiert, sei es auf dem verminten Feld der Geschichtspolitik, im jahrelangen Streit um den Bund der Vertriebenen, bei der Beutekunst oder seinem Steckenpferd, der Filmförderung – er bohrte reichlich dicke Bretter. Das trug ihm die Sympathie der Kulturszene ein. Die Filmbranche hat sogar einen Platz nach ihm benannt, auf dem Münchner Bavaria-Gelände.

Im Berliner Museumsstreit schwieg der Kulturstaatsminister lange

Nicht dass er sich nie eingemischt hätte. Nach dem skandalösen Kotau deutscher Museumsdirektoren bei der „Kunst der Aufklärung“-Ausstellung 2011 in Peking gab Neumann verärgert Contra, stellte die Meinungsfreiheit unmissverständlich über Geschäftsinteressen. Und bei der letzten Lola-Verleihung las er den Fernsehchefs vor versammeltem Gala-Publikum die Leviten, Stichwort Kulturauftrag der Öffentlich-Rechtlichen.

Aber Programmatisches, Konzepte, Visionen, Brandreden, Identitätsstiftendes? Fehlanzeige. Die Selbstverständigung der Zivilgesellschaft, auch das ist Kultur, auch das gehört zum Amt. Im Berliner Museumsstreit schwieg Neumann lange – obwohl er ihn angezettelt hat, mit zehn Millionen Euro für die Umrüstung der Gemäldegalerie. Lieber betrieb er erneut Diplomatie hinter den Kulissen und besänftigte die Streithähne in Sachen Masterplan und Alte Meister mit einer vergleichenden Machbarkeitsstudie.

Eine dritte Amtszeit? Der 71-jährige Neumann hält es sich offen. Ob für den CDU-Veteranen, Oliver Scheytt oder Monika Grütters, ebenfalls Pragmatikerin, mit der Wissenschaftsszene bestens vertraut und schon 2009 als CDU-Kandidatin gehandelt: Auf sie warten große Baustellen. Das Urheberrecht. Die KSK. Die gefährdete Solidargemeinschaft der Kinobranche – am 8.10. urteilt das Bundesverfassungsgericht über das Filmfördergesetz. Die Fortsetzung der Berliner Museumsdebatte. Das Schloss mit dem ungeliebten Humboldtforum. Eins ist sicher. Mit ihrer Berliner Verwurzelung wäre Grütters für die Kulturhauptstadt ein Gewinn. Und: Es wird teuer beim Schloss, turbulent. Der nächste Kulturstaatsminister muss sturmerprobt sein.

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