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Seltsames Paar. Katharina Schlothauer und Dieter Hallervorden in "Vor Sonnenuntergang".

© dpa

"Vor Sonnenuntergang" mit Dieter Hallervorden: Wenn dem Prinzipal das Lächeln vergeht

Das Schlosspark-Theater zeigt Gerhard Hauptmanns „Vor Sonnenuntergang“ - und Dieter Hallervorden gibt den tragischen Helden.

Augen wie Gebirgsseen, schimmernde blonde Haare, kurzgeschoren wie bei einem Jungen, dazu Stupsnäschen: Katharina Schlothauer ist als Kindergärtnerin Inken Peters eine Erscheinung. Burschikos, androgyn, unwiderstehlich. Munter hin- und herspringend zwischen wilder Entschlossenheit zu lieben und zugleich noch ganz unbekümmerte, die Welt als einzige Spielwiese umarmende Naivität („Es macht ihm nichts aus, dass ich jünger bin“).

Kein Wunder, dass sich Geheimrat Clausen, der ihr Großvater sein könnte, in dieses Wesen verguckt hat. Am Schlosspark-Theater darf er das jetzt wieder: in Gerhart Hauptmanns „Vor Sonnenuntergang“. Der wichtigste Vertreter des Naturalismus und Literaturnobelpreisträger, der sich vor den Karren der Nazis hat spannen lassen – er wird nicht mehr oft gespielt in Berlin. Vor einigen Jahren „Die Ratten“ am Deutschen Theater mit dem legendären Schlitzbühnenbild von Olaf Altmann, das war’s im Wesentlichen. Aber die Altersrolle des Verlegers Matthias Clausen passt gut zum Wunsch von Theaterchef Dieter Hallervorden, von der Figur des „Didi“ wegzukommen und sich als Charakterdarsteller zu profilieren. Was er zuletzt vor allem mit Filmen („Sein letztes Rennen“, 2013, „Honig im Kopf“, 2014) versucht hat.

Zurückhaltende Kulissen, viel Spiel mit Licht, dazu irgendwie in den sechziger Jahren zu verortendes Mobiliar: Das Bühnenbild von Stephan von Wedel ist kein historisierendes Plüschfest, zum Glück. Regisseur Thomas Schendel hält sich, was an diesem Haus nicht anders zu erwarten war, dicht an die Vorlage, hat aber eigenwillige, nicht immer nachvollziehbare Striche vorgenommen. So fällt mit Egmont Clausen der einzige Sohn weg, der die Intrige gegen den Vater nicht mitmacht. Der Rest der Brutsverwandtschaft erfährt seinen ersten starken Auftritt in Gestalt von Anne Rathsfeld als Paula Clausen, der scheußlichen Schwiegertochter, die sich am Whiskyglas festhält, das ihr zur Kraftquelle wird für die Verbalattacken gegen Inken Peters. Ihr Mann Wolfgang (Harald Effenberg): Ein nuschelnder Schluffi, dessen Mund erstaunliche Böswilligkeiten entfahren können – wie es dieser Kerl zum Professor geschafft hat, bleibt ein Rätsel. Irene Christ macht aus Bettina eine verhärmte, den Vater reichlich betüttelnde Henne, deren Extremsorge nur folgerichtig bald in Extremhass umschlägt. Ottilie: bei Maria Steurich eine schnell hyperventilierende, im Grunde hilflos schwache Tochter, die ohne ihren Ehemann sofort zusammenbrechen würde. Aus diesem Direktor Erich Klamroth, der danach geifert, dem alten Clausen nachzufolgen, macht Oliver Nitsche ziemlich passgenau den philisterhaften, mit aller Liebe zur Philologie fremdelnden Kotzbrocken, den die Lektüre des Stücks nahelegt. Und aus den lauernden, pechschwarzen Augen von Mario Ramos als Anwalt Hanefeldt dräut eine Tücke, die keine Fairness erwarten lässt.

Ein Team aus starken Schauspielern kreist um eine Mitte

Demgegenüber die „Guten“: Sekretär Wuttke, bei Martin Gelzer ausgestattet mit einer zugeknöpften, weltwissenden Aura, die Klamroth aus gutem Grund zur Weißglut treibt. Franziska Troegner spielt Mutter Peters mit anrührender Mischung aus Robustheit und Verletzlichkeit, und als sie Tochter Inken beim Wäscheaufhängen davon zu überzeugen sucht, vom Geheimrat abzulassen, dürfte der Abend seinen geheimen Intensitätsschwerpunkt gefunden haben.

Es ist ein Team aus lauter starken Schauspielern, das hier um eine Mitte kreist. Darin sitzt Dieter Hallervorden, die Haare weißgekräuselt, und lächelt. Ein Prinzipal und Hausherr, der einen Prinzipal spielt und als solcher gleich mal Auftrittsapplaus bekommt. Er lächelt sehr viel, dieser mal eben von 70 Jahren (bei Hauptmann) auf 80 (Hallervordens Alter) hochgetunte Matthias Clausen. Ein kaum von Zweifeln angekränkelter Mensch der Tat, kernig, mit dieser kaum gealterten Didi-Stimme, die ein ums andere mal die Gespenster der Vergangenheit, die Blödelsketche der achtziger Jahre nach oben spült. Nein, Hallervorden blödelt nicht an diesem Abend. Und doch steckt da immer noch dieser unverwüstliche Komiker in ihm, der raus will, der sich zum Teufel nicht verscheuchen lässt. Der Brüche und Verletzungen hauptsächlich weggrinst. Erst als Justizrat Hanefeldt im vierten Akt unter unendlichen Windungen das entscheidende Wort „Entmündigung“ herausgewürgt hat, ist es damit vorbei. Jetzt ist der tragische Clausen dran: bei Hallervorden immer noch ein Kraftpaket, das von der Grinsebacke zum auf den Tisch hauenden Schreihals mutiert und das Porträt seiner verstorbenen Frau zerschneidet.

Hier endlich zeigt der Hausherr mehr Couleur und ein differenzierteres Spiel. Es endet in Frau Peters’ Küche, Clausen regengepeitscht, den Selbstmord schon im irren Blick. Man ertappt sich trotzdem bei dem Gedanken, wie der Abend wohl aussähe, würde Achim Wolff den Matthias Clausen spielen. Sein Professor Geiger, Jugendfreund und Stimme der Vernunft, besitzt genau jene seigneurale Güte, die sich wie eine dünne Haut über einen verletzlichen Charakter spannt und jederzeit zerreißen kann.

Die Leine, die Thomas Schendels Inszenierung mit dem Text verbindet, ist kurz. Wir sehen das Stück, wie Hauptmann es geschrieben hat. Und dann doch ein bisschen mehr. Diese Familie, die Abkömmlinge, der Sohn, die beiden Töchter: Hier gleichen sie Marionetten, die von allein nicht lebensfähig sind. Das väterliche Erbe scheint ihnen gar nicht so wichtig zu sein. Die Impulse, sich das Vermögen unter den Nagel zu reißen, kommen vor allem von den Eingeheirateten, von Klamroth, von Paula. In der Erziehung dieser drei Kinder ist etwas schrecklich schiefgelaufen. So kann man den Stücktitel also auch interpretieren: Wenn die Sonne untergeht, erlöschen auch sie.

Noch einmal am heutigen 18. Januar und von 2. bis 6. Februar

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