zum Hauptinhalt

Kultur: Vorlesung über das Stottern: Zum Beispiel Brigitte Bardot - Ein Vortrag von Einar Schleef

"Was ist mir denn so wehe?" Nicht in zartem Klageton, sondern mit donnerndem Furor wird dieser Eichendorff-Vers deklamiert, nein, schmetternd skandiert.

Von Sandra Luzina

"Was ist mir denn so wehe?" Nicht in zartem Klageton, sondern mit donnerndem Furor wird dieser Eichendorff-Vers deklamiert, nein, schmetternd skandiert. Einar Schleef, Professor für Bühnenbild an der Hochschule der Künste, hatte seinen Auftritt als akademischer Vortragskünstler. Betrat pünktlich den kleinen Vorlesungssaal mit den knarzenden Holzpulten. "Stottern und Sprechen. Nackt und Angezogen." Das selbst gewählte Thema verheißt endlich Aufklärung: Über die leibliche Begründung einer Bühnenästhetik, die vor allem heftige Abwehr provoziert. Über Ausdrucksnot und Geistesdiziplinierung. Die der Form eingeschriebene Gewalt. Mit seinem Post-Punk-Haarschnitt steht Schleef am Katheder - und pfeift auf alle professorale Gelehrsamkeit. Greift zum Goethe, ach, weg damit! Hebt an zum großen Monolog. Benennt gleich das Problem, das auf sein eigenes künstlerisches Dilemma verweist: "Die Tragödie ist aus dem Theater verbannt worden." Damit hängt nun freilich ein weiteres, nicht weniger dringliches Problem zusammen: "Was soll man mit den Frauen im Theater anfangen?" Es sind unzeitgemäße Betrachtungen, die der Nietzsche-Darsteller hier vorträgt. Die Quintessenz der antiken Tragödie lässt sich mit Schleef wie folgt fassen: "Die Frau sitzt und klagt, anschließend fliegt die Frau in die Luft." Siehe Medea. Heute lautet der traurige Befund: Die Tragödie verbannt, die Frau verflüchtigt. Was also soll das Theater? Die wütende Abrechnung mit dem Theaterbetrieb zog sich als Generalbass durch die Auslassungen. These: Wo das Theater sich um die Trauerarbeit drückt, da findet die Tragödie Zuflucht im Gedicht. Als Beleg trug Schleef Gedichte von Georg Heym und Eichendorff vor - und bemeisterte sein Stottern, unterwarf sich selbst dem rhythmischen Drill. Unter der Gewalt dieses Sprechens duckte sich das studentische Auditorium. Doch man wurde im Folgenden Zeuge, wie das Denken zum Ereignis wird.

Das hatte einen hohen Unterhaltungswert, wie sich in dieser Kunstbeschimpfung Schmerz und Gelächter, Wut und Witz paarten. Schleefs Vision vom Theater: "Das Individuum ist in der Garderobe, auf der Bühne herrscht das Ganze." Nicht nur, dass dem Theater heute die Inhalte abhanden gekommen sind, auch der Kult der Individualität ist der Tod der Tragödie. Denn: "Der Interpret ist Träger einer Idee, nicht seiner selbst oder seiner Füße." Da hat er sich soweit in Rage geredet, um den zentralen Satz des Abends zu äußern: "Theater ist ein Leidensakt." Das ist Schleefs Credo. Wo das Leiden im Theater keinen Ort hat, da bleibt nur das Leiden am Theater. Und freimütig bekennt Schleef: Der größte Feind des Autors (und des Regisseurs) ist der Schauspieler. Der Schauspieler schreit nämlich: "Ich will einen Mantel!" Daraufhin kriegt der Regisseur Schleef einen Schreianfall. Denn: "Der Mensch der Tragödie ist nackt." Genauso verwerflich wie der Mantel ist die Mode mit den schwarzen Unterröcken, die dem Republikflüchtling Schleef einst im westdeutschen Theater aufgefallen ist. Eine Kombination von SS und amerikanischer Hure, ereifert sich Schleef, um sogleich in eine Apologie auf Brigitte Bardot zu fallen: Die hat nämlich nie einen schwarzen Unterrock getragen. Zweitens: Ihre Schauspielkunst (nicht ihre Brüste) seien "anbetungswürdig". An Frau Bardot müsse sich jeder Theaterschauspieler ein Beispiel nehmen - oder an der indischen Tempeltänzerin. Im Saal wird leise gekichert, doch kein Zweifel: Schleef meint es ernst.

Ihm haftet ja der Ruf eines Schinders und Dompteurs an. Dazu Schleef: "Sie können nicht 40 Leute peitschen und drillen, wenn sie einen Sprachfehler haben." Eigentlich ist er es, dem die vielen Prüfungen abverlangt werden. Wenn etwa der Hauptdarsteller - wie jüngst am Deutschen Theater - gar nicht erscheint. Da muss er als Stotterer selbst ins Zentrum treten. Die Krux mit dem Theater lässt sich mit Schleef so formulieren: Die "große" Aufführung muss andere Kräfte mobilisieren. Dann aber kommen die Schauspieler zuhauf mit den Krankmeldungen. Ja, Schleef hat uns glaubhaft vermitteln können, wie er leidet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false