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Kultur: Vorletzter Vorhang

Konkurs oder Sanierung: Bremens Theater als kulturpolitisches Lehrstück

Mit seinem Schwiegersohnlächeln, der stets korrekten Frisur und seiner Vorliebe für Nadelstreifenanzüge sieht der Bremer Senator für Wirtschaft, Häfen und Kultur, der 41-jährige Jörg Kastendiek (CDU), nicht gerade aus wie ein harter Sanierer. Was seinen in immer kürzerer Folge verschlissenen Vorgängern im Amt des Kultursenators nicht gelang, scheint er nun aber durchzuziehen: den 430 Angestellten des Bremer Theaters das Weihnachtsgeld und einen spürbaren Einkommensverzicht abzupressen.

Erpressung: Das ist der Vorwurf, den Kastendiek in den vergangenen Tagen am häufigsten zu hören bekam. Bei einer Solidaritätsveranstaltung am Sonntag im Großen Haus am Goetheplatz, zu der das Theater Schriftsteller wie Christoph Hein und die Hamburger Intendanten Ulrich Khuon (Thalia) und Friedrich Schirmer (Deutsches Schauspielhaus) aufbieten konnte, nutzte fast jeder Redner dieses Wort. Und auch in den schriftlichen Sympathiebekundungen von Elfriede Jelinek bis Elke Heidenreich wimmelt es von Angriffen gegen den Bremer Senat im Allgemeinen und Kastendiek im Besonderen.

Eine Insolvenz des in den sechziger Jahren ruhmreichen und heute immerhin achtbaren Vier-Sparten-Hauses ist auch nach tagelangen Verhandlungen noch nicht vom Tisch. Die „Theater der Freien Hansestadt Bremen GmbH“ konnte zunächst die Oktobergehälter nicht überweisen. Auf 4,7 Millionen Euro beziffert der von einem Schwächeanfall langsam wieder genesende Intendant Klaus Pierwoß das Liquiditätsloch. Bei einem Etat von knapp 30 Millionen Euro, zu dem Bremen rund 24 Millionen Euro als Förderung beiträgt, ist dieser Fehlbetrag dramatisch hoch. Kommt bis zum heutigen Dienstag kein Geld auf die Konten, muss die GmbH Insolvenz anmelden. Ansonsten haftet Pierwoß, der 1994 seinen Posten als Chefdramaturg am Maxim-Gorki-Theater aufgab und sich seither als Intendant in Bremen aufreibt, persönlich.

Durch einen Artikel in der Lokalpresse war das Liquiditätsdrama öffentlich geworden. Wieder einmal stand das Theater als Musterbeispiel für Misswirtschaft da. Dabei ist noch immer nicht geklärt, wie hoch das vom Theater und indirekt auch von seinem Aufsichtsrat zu verantwortende Defizit tatsächlich ist. Fest steht: Mindestens 2,7 Millionen Euro, mehr als die Hälfte des Fehlbetrages, sind Fördergelder, die dem Theater zustehen. Das musste selbst Senator Kastendiek einräumen. In jedem Herbst muss die mit wenig Eigenkapital ausgestattete GmbH einen Kredit aufnehmen, weil die Stadt die Zuschussrate verspätet zahlt und stattdessen eine Bürgschaft gibt. Über den Rest gibt es Streit.

Es wirken mit: Klaus Pierwoß, der eigene Fehler im Wert von ein paar Hunderttausend Euro eingesteht und im Lauf der Spielzeit einsparen will. Einen dicken Batzen ordnet er Altschulden zu, die das Theater seit Jahren mit Wissen des Aufsichtsrats und der Kulturverwaltung mit sich herumschleppt. Und die Schuld für einen weiteren sechsstelligen Betrag schiebt er seinem ehemaligen Verwaltungsdirektor in die Schuhe.

Lutz-Uwe Dünnwald, der erst im September ohne nähere Begründung beurlaubte Theatermanager, weist die Vorwürfe von sich und gibt den Schwarzen Peter an den Senat weiter. Der wiederum gibt sich überrascht: Das mit der Verantwortung wird später geklärt, Krise bewältigen heißt die Devise. So gab es diesmal keine Bürgschaft. Nach einer Aufsichtsratssitzung trat Senator Kastendiek der wütenden Belegschaft entgegen und fand Sachzwänge. Ohne einen massiven Eigenbeitrag des Theaters habe er im Senat nicht die geringste Chance, die Zustimmung für diese Bürgschaft zu bekommen.

Dabei hält der Senator dank der Insolvenzgefahr alle Zügel in der Hand. Nur so ist es zu erklären, dass die deutschen Verbands- und Gewerkschaftsvertreter zwar laut polterten, aber dann einer nach dem anderen einknickten. Bundesweit einmalig sei der Bremer Vorgang, schimpfte Rolf Bolwin, der Geschäftsführer der Arbeitgeberorganisation Deutscher Bühnenverein. „Kriminell ist das“, wütete der Verhandlungsführer der Schauspieler-Gewerkschaft GdBA, Hans Herdlein. Aber weil die Krise akut ist, erklärten sich Bühnenverein und Künstlergewerkschaften bereit, gleich für drei Spielzeiten auf die 13. Gehälter zu verzichten. Voraussetzung: Die Oktobergehälter werden gezahlt und der Zuschuss bleibt mit rund 24 Millionen Euro konstant.

Doch das wird immer unwahrscheinlicher. Das Haushaltsnotlageland Bremen lebt auf Pump und leiht sich zurzeit jeden vierten Euro, den es ausgibt, von Banken. Nach der gescheiterten Bewerbung als „Europäische Kulturhauptstadt 2010“ sind Kürzungen im Kulturetat absehbar. Für das Theater steht ein Minus von einer Million Euro im Haushaltsentwurf für die nächsten beiden Jahre.

Sogar die Gewerkschaft Verdi, deren Funktionäre die Interessen von mehr als der Hälfte der Theaterangestellten vertreten, macht inzwischen weiterreichende Zugeständnisse: Das Weihnachtsgeld wurde geopfert wie zuvor an vielen ostdeutschen Theatern. Am heutigen Dienstag will der Senat über eine Teilbürgschaft entscheiden.

Christoph Köster

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