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Raus aus der Stadt. Das Haus am Waldsee gehört zu den Biennale-Spielstätten.

©  L. Spörl

Vorschau auf die 8. Berlin-Biennale: Auf, in die Dörfer!

Die Berlin-Biennale erfindet sich neu. Unter ihrem kanadischen Leiter Juan A. Gaitán zeigt sie Kunst aus Übersee – und zieht an den Stadtrand.

Der Kurator einer Biennale hat immer etwas von einem Zeremonienmeister an sich. Er muss seine Akteure zusammenhalten, sie auf ein Thema einschwören, interessante Locations finden, das Publikum bis zum Start in erwartungsvolle Spannung versetzen – um dann im Moment der Ausstellungseröffnung mit einem Tusch das Gesamtwerk zu kredenzen. Diese Woche ist es wieder so weit, zwei Jahre sind vorüber, am Mittwochabend beginnt die achte Berlin-Biennale. Man könnte denken, dass sich mittlerweile Routine eingestellt hat, bei diesem komplexen Räderwerk aus Großausstellung und individuellen Beiträgen. Doch wieder liegen ein paar Tage vorher die Nerven blank, die Zeit ist knapp kurz vor Schluss. Die Techniker arbeiten bis zuletzt. Auch das gehört zur Routine einer Biennale, die stets von einem anderen Kurator verantwortet wird und sich deshalb jedes Mal neu erfinden muss.

In diesem Jahr ist es der Kanadier Juan A. Gaitán, der kolumbianische Wurzeln hat, in Berlin und Mexiko-Stadt wohnt und zuletzt in Rotterdam lebte: ein Weltbürger par excellence, ein Kommunikator zwischen den Kontinenten und Kulturen. Er vertritt damit einen gänzlich anderen Typus als sein Vorgänger, der polnische Künstler Artur Zmijewski, der mit Agitprop, Occupy-Lager und Straßenbarrieren sein Publikum eher vergrätzte. Gaitáns Wahl dürfte auch als Gegenentwurf zur vorherigen Personalentscheidung zustande gekommen sein. Bei der Eröffnung der Lounge-Installation „Crash Pad“ des Griechen Andreas Angelidakis Ende Januar im Vorderhaus der Kunst-Werke als Prolog empfahl er sich bereits als freundlicher Gastgeber, der mit Tee und Koulourakia-Gebäck aufwartet.

Die Berlin-Biennale hat seit ihrer Gründung vor 16 Jahren durch Klaus Biesenbach, heute am MoMa in New York, die verschiedensten Kuratorencharaktere kennengelernt: den klugen Narren, die spröde Intellektuelle, den alerten Zampano, den autistischen Grübler. Entscheidend aber ist, was der berufene Kurator aus der Biennale macht, auf die in Berlin alle Welt blickt. Als Hotspot der internationalen Kunst wird hier noch genauer hingeschaut. In Berlin können Karrieren ihren entscheidenden Kick – der neue Documenta-Macher Adam Szymczyk verantwortete die Biennale vor vier Jahren – oder eben Knick bekommen.

Die Stadt selbst bildete bisher immer den wichtigsten Bezugspunkt für die Biennalen: die besonderen Befindlichkeiten im Kosmos Mitte, mehr noch in der Spandauer Vorstadt, das Problem der Gentrifizierung, die Spannung zwischen Lokalbezug und Globalisierung, all das spielte hinein. Nabelschau war stets dabei, denn Berlin stellte sich selber aus – ein Großteil der internationalen Teilnehmer lebte ohnehin hier. Das dürfte diesmal gründlich anders sein. Die Hälfte der fünfzig Künstler stammt aus Übersee und ist neu in Berlin. Mit der achten Ausgabe bewegt sich auch die Biennale erstmals aus dem Epizentrum der zeitgenössischen Kunst heraus, angesagte Quartiere wie Kreuzberg oder Friedrichshain werden übergangen. Die Kunst-Werke in der Auguststraße bleiben zwar als Stammhaus erhalten, hinzu kommen aber Dahlem und Zehlendorf, die grünen Vororte, wo eher behagliche Bürgerlichkeit als hippe Kunst beheimatet ist.

Als neue Ausstellungsorte hat sich Juan Gaitán die Dahlemer Museen und das Haus am Waldsee ausgesucht und damit einen radikalen Blickwechsel verordnet. Die hier ausstellenden Künstler versuchen Exponate aus den Sammlungsbeständen in Performances und Installationen zu ergründen, oder sie bringen ihre Requisiten mit, ihre eigenen Geschichten, die sie mit dem vorgefundenen Setting verweben. Bereits die Wahl der Spielstätten im Südwesten Berlins ist für Gaitán ein Statement. In wenigen Jahren werden die außereuropäischen Sammlungen aus der Peripherie ins Zentrum gerückt und im künftigen Humboldtforum einquartiert sein.

Ein Fehler auf ganzer Linie, wie der Biennale-Kurator meint, angefangen mit der restaurativen Stadtschloss-Architektur, die an Preußen und das 19. Jahrhundert anzuknüpfen sucht. Das 20. Jahrhundert mit seinen politischen Verwerfungen werde kurzerhand übersprungen, der Abriss des Palastes der Republik sei ein Akt des Verdrängens. Das mag zunächst wieder nach bekannter Berlin-Diskussion klingen, hätte Gaitán nicht andere Beispiele kosmetischer Geschichtsbetrachtung, wie er es nennt, parat: aus den Arabischen Emiraten, wo Monumente islamischer Überlieferung entstehen, oder Kambodscha, wo es etliche Bezüge zur Khmer-Geschichte gibt.

Die Geschichte der Stadt als Matrix.

Flickenteppich der Geschichte. Der Grieche Andreas Angelidakis hat im Vorderhaus der Kunst-Werke eine Lounge eingerichtet.
Flickenteppich der Geschichte. Der Grieche Andreas Angelidakis hat im Vorderhaus der Kunst-Werke eine Lounge eingerichtet.

© Uwe Walter

Biennalen benötigen die Geschichte ihrer jeweiligen Stadt als Matrix, schließlich sind sie in den Jahren ihrer inflationären Gründungen, in den Neunzigern, als ein Instrument des urbanen Marketings verstanden worden. Als zweiter Gründungsgedanke stand stets eine strukturelle Maßnahme dahinter. Das war auch in Berlin nicht anders, wo nach dem Mauerfall, von den Institutionen weitgehend unbemerkt, eine vitale Kunstszene entstanden war, die in der Biennale endlich einen Ort der Präsentation und der Diskussion fand. Die Erfindung der Berlin Art Week durch die Kultursenatsverwaltung vor zwei Jahren zeigt, dass diese Erkenntnis nun auch bei den offiziellen Stellen angekommen ist – allerdings zu einem Zeitpunkt, an dem die Museen und Ausstellungshäuser weitgehend den Anschluss gefunden haben.

Gaitán trifft also auf eine saturierte Situation, an Plattformen mangelt es nicht mehr. Könnte die Biennale demnach abgeschafft werden? Nach dem Desaster mit Zmijewskis Polit-Kapriolen beim letzten Mal sahen viele das seit 2004 vom Bund jedes Jahr mit 2,5 Millionen Euro geförderte Großprojekt (vorläufig bis 2018) infrage gestellt. Die Antwort kann trotzdem nur „Nein“ lauten. Die Berlin Biennale hat sich zur Institution eigener Qualität entwickelt, zum profilierten Schauplatz zeitgenössischer Kunst – kein Galerien-Event, sondern ein Ort intellektueller, ästhetischer Auseinandersetzung. In diesem Jahr ist sie die wichtigste nicht-kommerzielle Veranstaltung im Berliner Ausstellungskalender.

Umso größer die Erwartungen an die achte Ausgabe. Gaitán muss seine Ausstellung auf Augenhöhe mit anderen Großausstellungen bringen, etwa der diesmal von Kaspar König kuratierten europäischen Wanderbiennale Manifesta, die Ende Juni in St. Petersburg eröffnet. Sein Projekt soll sich in einen internationalen Diskurs einspeisen. Die Zusammenführung von Historie und individuellen Geschichten, wie sie in vielen Beiträgen geprobt wird, liegt durchaus im Trend, wie schon auf der vergangenen Documenta zu sehen war. Postkoloniale Studien, Archiv, Recherche, das 19. Jahrhundert insgesamt sind gerade angesagt.

In Berlin aber findet Gaitán in den Humboldt-Brüdern, die Wissen aus aller Welt nach Berlin holten, Geistesverwandte. Dass der Transfer von Waren in Zeiten der Kolonisierung und Missionierung nicht friedlich vor sich ging, bestimmt den Tenor der Kunst: Aufklärung mit wehmütiger Note. Die Nigerianerin Otobong Nkanga – zur Zeit daad-Stipendiatin in Berlin – wird die Geschichte des Glimmersteins erzählen, den sie als Kind in ihrer Heimat noch am Wegesrand fand und der heute als Rohmaterial für Industrieprodukte dient. Die Portugiesin Leonor Antunes knotet aus Fasern und Wurzeln hängende Gebilde, die an traditionelle Fischernetze wie moderne Architekturen erinnern. Mathieu Kleyebe aus Französisch- Guayana betreibt Feldforschung mit den verbliebenen Fotografien der großväterlichen Sammlung, die ihn ins Musée du Quai Branly in Paris führt.

Das vielleicht programmatischste Werk aber stammt von dem Franzosen Saadane Afif, der für die Berlin-Biennale eine Bahnhofslaterne aus Düren als verkleinerte Kopie nach Berlin versetzt. „Là-bas“ hat er seinen Beitrag genannt. Hier, dort – wer kann das schon sagen. Auf die Perspektive kommt es an.

Juan A. Gaitán (40) leitet die 8. Berlin-Biennale. Der Kanadier mit kolumbianischen Wurzeln lebt in Mexiko-City und Berlin, zuletzt arbeitete er in Rotterdam.

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