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Kultur: Vorschau: Schreibwaren

Die Leipziger Buchmesse ist vorüber. Im Verlauf ihrer vier Tage hat nach eingehenden statistischen Erhebungen jeder Autor, jeder Verlagsangestellte, Buchhändler und Literaturkritiker 823 Handschläge gewechselt, 627-mal "Wie geht es Ihnen/Dir" und immerhin noch 538-mal lächelnd "Schön, Sie/Dich zu sehen" gesagt.

Die Leipziger Buchmesse ist vorüber. Im Verlauf ihrer vier Tage hat nach eingehenden statistischen Erhebungen jeder Autor, jeder Verlagsangestellte, Buchhändler und Literaturkritiker 823 Handschläge gewechselt, 627-mal "Wie geht es Ihnen/Dir" und immerhin noch 538-mal lächelnd "Schön, Sie/Dich zu sehen" gesagt. 746 Bussis wurden durchschnittlich gewechselt. Die Zahl veritabler Küsse war aus einsichtigen Gründen nicht zuverlässig zu erfassen.

Nun laufen die Visitenkartenscanner nonstopp, werden die Notizen durchforstet, Karteikarten und Auftragsbücher aktualisiert, die überquellenden Schreibtische und Emailkonten aufgeräumt. Der Betrieb braucht eine Ruhepause. Daher gibt es in dieser Woche nur vier Lesungen für Unersättliche: Fünf Herren fahren nach Berlin-Mitte, nach Frankfurt am Main, in das "Rom des Selbst" oder sogar noch weiter - soweit die Ohren eben tragen. Mit Leipzig hat es keiner.

Klinger, der Held von Norman Ohlers "Mitte", zieht in eine möblierte Wohnung in Berlin-Mitte. Die Miete ist gering, allerdings darf der Kaufhausdetektiv die Gegenstände seines Vormieters nicht anfassen. Das erweist sich recht bald als gar nicht so leicht, denn in der Wohnung sind Stimmen zu hören und ein Fremder mit exzellenten Drogenkenntnissen taucht auf. Ohler hat das "Spukhaus im Spessart" an den Hackeschen Markt verlegt.

Neben Norman Ohler nimmt am 26.3. in der Kulturbrauerei (20 Uhr) Norbert Zähringer Platz. Sein Bankangestellter Gummer sitzt in einem Container und wartet: "So". An den Wänden knistert der Sand, den der Wind über die Ost-Berliner Industriebrache treibt. Weil die abgewickelten Werktätigen nicht wieder auftauchen, beginnt Gummer - schließlich geht es um seinen Job - Transaktionen und die dazugehörigen Kunden zu erfinden: ein Spukcontainer in Ost-Berlin.

Mit vergleichsweise Handfestem reist Jonatham Lethem aus "Motherless Brooklyn" an: Vier Kleinkriminelle suchen den Mörder ihres Anführers. Die ehemaligen Waisenkinder sind nicht die hellsten, Waisenknaben sind sie jedoch nicht. Einer von ihnen leidet am Tourette-Syndrom: Er streichelt zwanghaft Menschen, ordnet Gegenstände und bricht unwillentlich in Beleidigungen aus. Just dieser Lionel Esrog ist der Erzähler, so dass die Kriminalstory wie ein Feuerwerk aus verbalen Ergüssen, Verballhornungen, Anspielungen und Assoziationen daherkommt - und als Herausforderung an den Übersetzer Michael Zöllner, der sich mit Lethem in Britta Gansebohms Literarischem Salon unterhält (Podewil, 26.3., 20 Uhr).

Geht man ein bisschen haushälterischer mit der Sprache, dafür verschwenderischer mit der Personage um, dann sind durchaus 736 Seiten drin. Steffen Kopetzky hat mit "Grand Tour oder Die Nacht der Großen Complication" einen richtigen Schmöker geschrieben. In ihm kreuzen sich beständig die Wege eines Aushilfs-Schlafwagenschaffners auf großer Fahrt durch Europa, eines schmierigen Rechtsanwalts auf der Suche nach einer einzigartigen Uhr und einiger Nebengestalten (Buchhändlerkeller, 28.3., 21 Uhr).

Dann naht Ostern, und passend zur Auferstehungsfeier gibt es im Künstlerhaus Wiepersdorf Peter Kurzeck zu hören (31.3., 15 Uhr). Der Rheinmainfrankfurter betreibt in seinen Büchern "die Errettung des Alltags durchs Erzählen. Es sind fiebrig intensive Palimpseste eines Flaneurs, der jede Abzweigung des Weges oder des Gedankens mitnimmt, um sich auf Abwegen, in der Verschwendung also zu finden - was auch kurzzeitig gelingt und selbst den Leser glücklich stimmt. Davor und danach lockt Wiepersdorf den Ausflügler mit Musik, Atelierrundgang und Performance in die Mark.

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