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Kultur: Vorsicht vor dem Januskopf

Der Langzeitschock des 11. September verwandelt intellektuelle Neugier in Misstrauen.

Der Langzeitschock des 11. September verwandelt intellektuelle Neugier in Misstrauen. „Können Sie uns nochmals sehr genau erklären, welche Beziehung Sie zur europäischen Gesamtorganisation Milli Görus haben. Konkret: Ist Erbakan auch ihr Boss?“ Diese Aufforderung, wie sie beim „Dialog mit dem Islam“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt an den niederländischen Milli Görus-Vertreter ergeht, ist sehr scharf gehalten. Da wird nicht nur nach westeuropäischer Tradition kritisch hinterfragt. Unüberhörbar ist der inquisitorische Akzent: Generalverdacht gegen den Islamismus.

Die Spannung, die sich in solchen vereinzelten Spitzen entlädt, entsteht aus der enormen Dissonanz der Erkenntnisse, von der diese Konferenz bestimmt wird. Zu Wort kommen muslimische Intellektuelle aus Indonesien, Ägypten, Südafrika, Marokko, Tunesien, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden. Doch wer erwartet, die religiös geprägten Theoretiker würden Kostproben eines modernisierungs- und demokratieunfähigen Islam liefern, liegt völlig falsch.

In ihrem Ideenhaushalt verbindet sich der Bezug auf den Koran mit den Glanzstücken der europäischen Aufklärung, mit Säkularisierung, Pluralismus, Liberalität. Die Organisation Milli Görus etwa gilt hierzulande als islamisch-religiös verbrämter Ableger der verbotenen rechtsradikalen Wohlfahrtspartei des türkischen Expremiers Erbakan. Da kann es schon stutzig machen, wenn Haci Karacaer vom niederländischen Milli Görus erzählt, dass man Kontakt halte zur Amsterdamer Jüdischen Gemeinde, mit Juden gemeinsam Feiertage begehe oder über Homosexualität diskutiere. Durch die Dynamik einer neuen Generation von Muslimen verändert sich Milli Görus: vom türkisch orientierten zum niederländischen Verband.

Der Fundamentalismus findet offenbar einen erstarkenden Widerpart in den vielgestaltigen Modernisierungsaufbrüchen der islamischen Welt. Dort sind überall Reformdenker dabei, ihre kritischen Geistestraditionen für eine islamische Begründung der Moderne zu aktivieren. Das islamische Indonesien etwa macht sich auf den Weg zur Demokratie. 1999 wurde gewählt, zum zweiten Mal nach 1955: Es bilden sich Parteien, es entstehen Ansätze einer freien Presse und politischer Partizipation. Doch regionale Aufstände, Fanatismus, gewaltsame Demonstrationen gefährden diese demokratischen Anfänge. Für die muslimische Welt wird viel davon abhängen, wie das islamische Experiment mit der Demokratie im bevölkerungsreichen Indonesien ausgeht, erklärt Nurcholis Madjid, Rektor der Paramadina Universität in Djakarta, einer der Organisatoren der letzten Wahl.

Der Bericht des Ägypters Abo Elela Mady lässt aufhorchen. Er leitet ein internationales Studienzentrums und betreibt den Aufbau der islamische Reformpartei Al-Wasat. Die soll sich - darin der CDU vergleichbar - von den religiösen Werten her definieren, aber Politik in einem säkularen Kontext formulieren. Zum Programm gehören Pluralismus, die Trennung von Politik und Religion und die Gleichberechtigung der Frauen. Mady und seine Mitstreiter verstehen sich als „Generation der islamischen Renaissance".

Freilich werden hier nicht einfach die Ideen eines aufgeklärten Islam wiedergeboren. Vorausgegangen sind Veränderungen im Sozialgefüge. Mady repräsentiert den Typ einer international orientierten, technischen und ökonomischen Intelligenz, die sich im Schoße der Muslimbrüderschaft entwickelt hat. Diese Pioniere schicken sich nun an, die fortschrittsfeindliche West-Abschottung der Muslim-Brüderschaft mit einer innovativen Lesart des Koran aufzubrechen.

Die hoffnungsvolle Botschaft der Intellektuellen lautet: „Eine neue Generation von Muslimen ist aufgebrochen zu einer islamische Moderne mit Demokratie, Pluralismus, Gleichberechtigung und der Trennung von Politik und Religion.“ Ihre Gesprächspartner Antje Vollmer, Warnfried Dettling und Ekkehard Krippendorf antworten fast unisono: „Ja zur Demokratie, aber Vorsicht mit der Moderne! Sie hat einen Januskopf.“ Als Kritiker des westlichen Fortschrittsmodells verweisen sie auf Wunden, die der nutzen- und verwertungsgetriebene Rationalisierungsprozess geschlagen hat: die Zerstörung religiöser Wurzeln, die mit immer neuen Grundwertekommissionen gelindert werden soll, der Verlust der Spiritualität, die jetzt als Sakro-Pop vermarktet werde, und eine von jeder Ethik losgelöste Macht- und Interessenpolitik. Die Frage sei, so Vollmer, ob sich lebendige Religion mit Demokratie verbinden lasse. Wenn ja, sei es für Staaten der islamischen Welt leichter, sich zu Demokratien zu modernisieren, ohne den Westen zu kopieren. Gerwin Klinger

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