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Kultur: Vorsicht, zerbrechlich!

Die Freiheit der Kunst und der Pfusch der Kulturpolitik: Was der Abgang des weltweit gefeierten Frankfurter Ballett-Chefs William Forsythe über den Umgang mit unbequemen Künstlern verrät

Von Rüdiger Schaper

Seltsam, dass über den Fall Forsythe und Frankfurt keine rechte Empörung oder Trauer aufkommen mag. Nun wird der Amerikaner also, der zu den bedeutendsten Choreografen und Tanz-Köpfen weltweit zählt, seine Stadt verlassen. Nach achtzehn Jahren: Das ist nicht nur im Leben eines Künstlermenschen eine sehr lange Zeit, das war für William Forsythe und das Frankfurter Ballett auch eine außergewöhnlich fruchtbare, innovative, für den zeitgenössischen Tanz überhaupt bewegende Ära.

Gewiss, es kommt einer Katastrophe gleich, wie in Frankfurt am Main die Kultur in einem Strudel von Sparzwängen, Inkompetenz, Ignoranz und gierigem Missmanagement auf Seiten der Opern und Theater selbst absäuft. Wer aber wäre nicht dieses Lamentos müde – und die Politik darf getrost auf den Abnutzungseffekt spekulieren. Hat nicht Pina Bausch, die andere Ikone des Tanztheaters, kürzlich erst mit dem Weggang aus Wuppertal gedroht?

Im Oktober werden wir bei den Berliner Festwochen die Forsythe-Truppe erleben. Forsythe, das war und ist in der deutschen Hauptstadt ein Zauber. Einen Choreografen dieses Ranges hat man sich hier immer erträumt. Doch die Berliner Situation stellt, was den Tanz betrifft, die Frankfurter Malaise noch in den Schatten. Kaum vorstellbar, dass Forsythe sich nach den Frankfurter Zermürbungskriegen ein „BerlinBallett“ oder dergleichen ans Bein binden könnte. Im Gegenteil: Forsythes Abschiedsbrief liest sich geradezu wie ein Dokument der Erleichterung, der Befreiung.

Die Produktionsbedingungen für Ballett und Tanz, die physischen Anforderungen für Tänzer lassen sich nicht mit Gesang und Sprechtheater vergleichen. Sasha Waltz von der Berliner Schaubühne hat darauf stets hingewiesen. Tanz ist von Natur aus fragil, das schwächste Glied. Aus diesem Grund hat man sich in Frankfurt, in Wuppertal und auch an der Berliner Schaubühne – als das Geld noch nicht so knapp war – um spezifische Konstellationen bemüht, die dem Tanz gerecht werden. Jetzt aber, da die öffentlichen Etats immer mehr schrumpfen, trifft es die Tänzer zuerst.

Um die Zukunft des William Forsythe wird man sich freilich nicht sorgen müssen. Selbst Sasha Waltz käme schlimmstenfalls ohne die Schaubühne im internationalen Betrieb zurecht. Und Hans Kresnik hat nach Auflösung des Tanztheaters an der Berliner Volksbühne an anderen Häusern Beschäftigung gefunden.

Das Problem ist: Wenn Frankfurt tatsächlich die Zuschüsse für das Ballett um achtzig Prozent kürzen, dann wird es auf lange Sicht keinen Nachfolger für William Forsythe geben. Dann muss er nicht um seinen Ruhm, aber um sein Erbe fürchten. Dann haben neue, junge Tänzer keine Chance.

In Frankfurt wird darüber diskutiert, ob Forsythe es nicht übertrieben habe mit der Autonomie seiner Truppe. Ob er genug präsent – oder zu häufig auf Tournee war. Eine armselige Argumentation! War man früher, in besseren Zeiten, doch gerade so stolz auf den kulturellen Botschafter einer Stadt, deren Ruf auf Bankzentralen und Messen gründet. Und welcher Künstler von Weltrang erstrebt nicht größtmögliche Autonomie, ob er nun Barenboim oder Forsythe heißt?

Die Frage ist, ob sich die großen Städte, notabene Kulturmetropolen, das autonome, teure, dickköpfig bis zuweilen auch unverschämt auftretende Künstlergenie noch leisten können und wollen. Und was wiederum der Preis ist, den man für solchen Verzicht zu zahlen hat. Und: Wie weit kommen die Stars des Kulturbetriebs der öffentlichen Hand entgegen? Frank Castorf, der Intendant der Volksbühne, und das Land Berlin haben die Kurve gerade noch einmal genommen.

Das Hoffnungsvolle, Kluge aber, das aus Forsythes Demission spricht, ist – die Kunst. Forsythe scheint in eine neue Phase der Reflexion über seine Arbeit einzutreten. Wie sein flämischer Kollege Alain Platel: Der hat vor einem Jahr, in der Sonne des Erfolgs, erklärt, er werde eine Kunstpause von unbestimmter Zeit einlegen. Das entschuldigt keine kulturpolitische Stümperei. Man muss so etwas aber auch denken – und tun dürfen.

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