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Kultur: Vorwärts zu den Wurzeln

Schnittmenge und Schnittmängel: Wie schwarz sind die Grünen?

Von Caroline Fetscher

Auf Englisch heißen Naturschützer „conservationists“. Sie wollen konservieren, ja, sie sind im Wortsinn Konservative. Und Grün? War eigentlich immer bunt gescheckt. Das Ganze begann so: In ihrem ideologischen Delta verzweigt sich die Studentenbewegung während der Siebziger Jahre in viele Flussläufe, Bäche, Rinnsale. Alle sollten sie in den Ozean der Utopie münden, jeder hatte da so seine Vorstellungen. Die reichen vom Matriarchat (der Mann macht den Abwasch) über die Anarchie (keiner macht den Abwasch) bis zum Sozialismus (Abwaschdienstplan für alle) und dann zum pragmatischen Hedonismus (wir kaufen eine Spülmaschine).

Klar war: Die Welt ist in Unordnung. Inmitten der verwirrenden, von den grauenhaften Ereignissen der NS-Zeit kontaminierten deutschen Gegenwart entdeckte ein guter Teil der Linken seinen sicheren Hafen in der Natur. Was machte der Kapitalismus kaputt, außer unseren Seelen? Richtig: die Wälder und Meere. Da draußen war etwas verseucht und ins Lot zu bringen, dem man sich in konstruktivem Konsens zuwenden konnte, ohne mit den Fallstricken der Geschichte in Berührung zu geraten.

Bioläden und Kinderläden, Yogagruppen und Anti-Atom-Initiativen besiedelten alsbald die Republik. Inspiriert von amerikanischen und kanadischen Umwelt-Romantikern, gejagt von Kassandras ökologischen Rufen, füllten sich die Köpfe mit neuen Parolen: Kampf den polychlorierten Biphenylen! Weg mit den Fluorchlorkohlenwasserstoffen! Friede der Ozonschicht!

Beim Sommerseminar auf einer dalmatinischen Insel lockte ein Adorno-Schüler uns Frankfurter Gymnasiasten 1972 mit dem Studium von Marcuses Freizeitthesen. Zur Erholung gab es Nacktbaden – vor den Augen entsetzter kroatischer Katholiken – und das gemeinsame Abnagen einer schweren Schinkenkeule, die reihum ging, von einem nackten, langhaarigen Höhlenmensch zum anderen. Am Horizonte schimmerte eine neue Welt, und all das geschah unter dem, nun ja, Tarnbegriff „Naturfreundejugend“. Was uns so revolutionär vorkam, war tatsächlich eher der Versuch, anzuknüpfen an die aus der Romantik entstandene, anti- urbane Jugendbewegung der Zwanziger und Dreißiger Jahre, an Wandervögel und Lagerfeuer-Lust, an Emotionen, derer sich auch die Machthaber des Dritten Reiches bedient hatten.

Der Nationalsozialismus hatte sich übrigens nicht nur den Schutz des „deutschen Waldes“ auf die Fahnen geschrieben, sondern auch den der „Wale, Robben und Pygmäen“. Trotzdem gleicht es einem Glücksfall, dass unter den Verschiebungs-, Verdrängungs- und Verdichtungsbedingungen der Nachkriegsjahre sich viele der radikalen Systemkritiker lieber das Erbe Naturschutz aussuchten – statt der destruktiven Alternative RAF, Terror, Lynchjustiz. Die Ökologie bot eine vergleichsweise harmlose, retroaktive Symbolisierung des forthallenden, unlösbaren Konflikts, den die Vergangenheit den Nachkommen aufgebürdet hatte. En vogue war Naturschutz nach dem Zweiten Weltkrieg ja schon einmal geworden: mit Albert Schweitzers Tier-, Dschungel- und Negerschutz in den Fünfziger Jahren. Schweitzers Reden für Natur und wider Atomwaffen ließ Adenauer verdrossen feststellen, das sei „für die Deutschen wie das Evangelium“. Quer durch alle Klassen und Konfessionen galt dies, wobei Albert Schweitzer den Bodensatz für vieles legte, was dann kam. Von Beginn an besaßen die Ökologen ideelle Kompagnons in den Naturschutzbünden und christlichen Schöpfungs-Schützern, doch beide leugnen die Verwandtschaft, die Luc Ferry in seiner Streitschrift „Le nouvel ordre écologique“ (Paris, 1992) anprangert.

Zwei Jahrzehnte nach Schweitzer, in den Siebzigern, tauchen akute, neue Probleme auf: Saurer Regen und anschließendes Waldsterben, das Schwinden der Ozonschicht, Blei im Benzin, der radioaktive Müll aus Kernkraftwerken. Weiter entfernt bedroht der nukleare Militärkolonialismus der Supermächte Südseeparadiese wie Bikini und Mururoa. Überall finden sich Feinde, „die Mächtigen“ scheinen skrupellos, David zieht gegen Goliath zu Felde, und im Bundestag wird auf einmal nicht nur gestritten, sondern auch gestrickt.

Mehrere Strömungen fließen im Ökologischen ineinander und formieren sich neu. Als „Öko“ in den Siebzigern seinen Siegeszug antritt, entsteht dabei ein Milieu, vor dem es den Allgäuer Wandervereinen graust. Bemalte Hauswände, begrünte Hinterhöfe, Körnermus statt Brotlaib, rotzfreche Gören, die schon vor dem ersten Schultag von ihren „Aggressionen“ sprechen, Mütter mit hennarotem Haar, die öffentlich Säuglinge stillen; Hanfpflanzen wuchern auf Veranden, Klampfen wachsen aus dem Boden, junge Männer tragen Schlabberkleidung. Folkloritische Anleihen aus allerhand für authentisch gehaltenen Drittweltkulturen, bereichern das Bild. Ein „Nein!“, laut wie ein Gongschlag, ertönt im Kopf der Konservativen, die dem Treiben ohnmächtig zusehen müssen. Die Schnittmenge zwischen den alten und den neuen Naturschützern schien zu Beginn gleich null. Grüne hatten in ihre Natur- Ideologie Restbestände des Revoluzzer- Denkens eingeschmuggelt, radikale, politische Systemkritik schwang bei ihnen mit.

Erst mit der Rückkehr des Pragmatismus, mit der Kommerzialisierung der Ökobewegung wendete sich das Blatt – mit den Realos. Ökohäuser von Edelarchitekten können ganz ansehnlich und gemütlich wirken, Mülltrennung und Recycling profitträchtig sein, Naturheilmittel und Ökokuchen schmecken wie zur guten alten Zeit. In der Angst vor dem Tschernobyl-Fallout trieb es Mütter aller Wählergruppen zu Öko-Supermärkten, und Bauern stellten auf „kontrollierten Landbau“ um. Damals bahnte sich ein gesellschaftlicher Umwelt-Konsens an, dessen vorläufiges Endergebnis in einer durchökologisierten Stadt wie dem badischen Freiburg exemplarisch zu besichtigen ist. Im öko-katholischen Freiburg traut man sich, wie in Singapur, kaum, eine Kippe wegzuwerfen.

Am 20. Januar 2005 holte Helge Braun von der CDU im Bundestag aus: „Für uns steht unverrückbar fest: Ökonomie, Ökologie und soziale Belange müssen gleichberechtigt nebeneinander stehen: Das heißt, dass Wirtschaftswachstum nicht zu Umweltzerstörung führen darf, der Grundgedanke der Nachhaltigkeit ist eben der des Ausgleichs zwischen den drei Säulen.“ Wie bei den Grünen heißt das: Nicht unbedingt mit Gewerkschaften, nicht nur im Rahmen der klassischen Industriegesellschaft, durchaus in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft. Hier sind die Grünen der Union näher als der gewerkschaftsabhängigen SPD.

Heute fehlt in kaum einer Kirchengemeinde eine Stellwand mit Fotos aus einem modernen „Drittwelt-Projekt“ für Frauen und Alphabetisierung, gegen Pestizide, Aids und Hunger, kein Bauernverband und kaum ein Industriezweig kommt ohne einen Hauch Öko aus. Öko hat an Prestige gewonnen.

Im Spektrum grüner Themen mit seinen schillernden Facetten, zu denen neuerdings und endlich auch Demokratisierung gehört, sind die grün-ethischen Umweltretter und die christlichen Konservativen einander nähergerückt, als beide Fraktionen bisher wahrhaben wollten. Wie die Österreicher sagen: Des tät’ scho passen.

Aber passt es der Mehrheit?

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