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Kultur: Wächter der Armut

Hartz IV rocken: Die Ich-AG Doc Schoko singt gegen die Depression an

Eigentlich ist schlechtes Wetter. Doch die Flaneure im Mauerpark trotzen dem frühherbstlichen Augustwetter und treiben sich in großer Zahl auf dem Flohmarkt herum. Ein alter Mann preist lautstark flüssige Drogen an, ein anderer trägt ein Schild um den Hals: „Suche Gitarristen. Bitte ansprechen“. Ein kurzer Regenguss, dann reißt der Himmel auf. Für Doc Schoko.

Mitten im Markttreiben, in einem kleinen Stand zwischen alten Platten und niedrigpreisiger Konfektionsware, spielt plötzlich eine dreiköpfige Punkrockband auf. Es ist der Schlusspunkt einer aberwitzigen Tour de Force, die Doc Schoko mit Bassist Dominik und Schlagzeuger Kurt allein am Tag zuvor schon vier Kurzauftritte in Berlin spielen ließ – in Plattenläden, auf der Straße, in der 8mm-Bar, um 15, 17, 21 und 1 Uhr. Wie steht man das durch? „Mit Tricks. Ein wenig Schnaps. Oder ein Liter Wasser.“ Das sagt Doc Schoko nicht mit der tiefen, röhrigen Stimme, die man auf seiner Platte hören kann, sondern einer Stimme, die jetzt arg angekratzt ist. Trotzdem: erst mal eine Zigarette gedreht und ein Bier aufgemacht. „Jetzt werde ich vier Tage schlafen. Und ein Buch lesen. Das neue von Helge Schneider vielleicht.“

Wir sitzen im Schokomobiltourbus, ein stark beanspruchtes Gefährt mit Kühlschrank und Gasherd, eigentlich ein Surfmobil für Spanienfahrten. Es ist eine Leihgabe aus dem Louisville-Umfeld, jenem Label des Kitty-Yo-Gründers Patrick Wagner, das Doc Schokos neue Platte „Große Straße“ herausgibt, die heute erscheint. Ein Mann tritt an die offene Schiebetür heran. „Ich wollte auch gar nicht stören. Ich wollte nur sagen, es hat mir gefallen. Und alles Gute für die Tour im Oktober.“ Schoko bedankt sich, er kennt ihn vielleicht, vom Sehen jedenfalls.

„Große Straße“ ist ein Konzeptalbum: ein Spaziergang durchs Offene, an den Türen vorbei, manche geschlossen, manche offen. „Es erzählt davon, wie ich durch die Straße laufe und sehe: Ihr macht alle Sachen, die euch nicht gefallen. Was ist denn das? Wo bleibt ihr hängen? Warum geht’s nicht weiter?“ Und säumten nicht schon auf dem Weg in den Mauerpark, über Danziger und Eberswalder Straße, Doc-Schoko-Schriftzüge den Bürgersteig? „Besser auf der Straße leben, als einen Job zu machen, den man hasst. Ich wünsche mir einfach mehr Leute, die sagen: nee, dann nicht.“ Auf der Straße sein, das heißt nicht nur die Beine, sondern auch den Kopf bewegen.

Doc Schoko ist ein beharrlicher Musikarbeiter. Kein Avantgardist, aber einer, der unbedingt Musik machen will, für sich und für andere, auch umsonst. Seit vielen Jahren musiziert er schon unbeirrbar vor sich hin, erst in Dortmund, wo er für sich und seine Freunde das Kassettenlabel „Verbot der Einfahrt“ betrieb, mit Auflagen von 15 bis 150 Stück. Mitte der neunziger Jahre zog er nach Neukölln, taucht im Umfeld der Galerie berlintokyo auf, komponiert da die Weihnachtssingle „Komm an den Ofen“ und bringt seinen ersten Vinyl-Longplayer „Einen Gegen“ heraus. Schokos Musik vereint Punk und Gitarrenpop, Country und Surf, seine Trottoir-Lyrik ist wütend und bestimmt, aber niemals ohne Humor. „Wärter der Armut, / Wächter des Hasses. / Soll ich sie grüßen? / Ich glaube ich lass’ es.“ Ein Tonfall, den man schon länger nicht mehr gehört hat und der an S.Y.P.H., Fehlfarben und an Ton, Steine, Scherben erinnert. Keine Agitation, kein reines Dagegensein, sondern der einfache Wunsch, Nonkonformität zu verbreiten. „Früher hatte ich dieses Trotzding: Was viele hören, kann nicht gut sein. Aber jetzt ist da der Drang: Es soll Popmusik werden.“

Den Alltag überwinden mit den Mitteln des Alltags: Es geht ums Scheitern, um Demütigungen und Frustrationen, vor allem aber um die Kraft, trotzdem ein würdevolles Leben zu führen, „ohne zu kriechen oder zu besiegen“, wie es in seinem Song „Ohnmacht“ heißt. „Irgendwann bemerkte ich, dass meine Musik auch anderen etwas geben kann. Da ist es meine verdammte Aufgabe, sie auch zu verbreiten.“ Der Doc sieht sich in der Tradition des Blues – nicht stilistisch, aber in der Wirkungsweise. „Ich bin derjenige, der sich abends hinsetzt, ’ne Gitarre nimmt und ein Lied spielt. Seine Kumpels wissen, worum es geht. Dir geht’s beschissen? Mir auch. Lass uns eine gute Zeit haben.“

Würde behalten und Spaß machen, das sind die beiden Konzepte, die der Doc empfiehlt: Vergiss deine Erwartungshaltungen, sei offen für den Augenblick, und wenn’s trotzdem schlecht läuft – geh tanzen. „Musik bringt einen zurück in die Kindheit. Dieser ungetrübte Hedonismus, nicht Dekadenz, sondern Lebensfreude.“ Eine ganze Woche hat er Sozialarbeit an der Fachhochschule Dortmund studiert. Lange Zeit war er selbst ohne Arbeit, bekam die Arbeitslosenhilfe gesperrt, geriet mit Sacharbeitern aneinander, musste die ganze Palette an Demütigungen über sich ergehen lassen, die solche Ämter bereit halten.

„Aus solchen Erfahrungen mache ich Musik und gebe sie weiter. Das ist meine Berufung.“ Etwa in dem lakonischen Stampfrocker „Formular“ über den Papierkrieg mit Beamten. Als Hartz IV drohte, fürchtete der Doc noch mehr Formularterror und gründete eine IchAG als Musiker.

Eine Dreiviertelstunde spielt Doc Schoko im Mauerpark, dann packt er seine Sachen in den Schokomobiltourbus. Die Zuhörer trotten davon, einige haben seine Platte unterm Arm. Das Wetter bleibt freundlich an diesem Tag.

Doc Schoko: „Große Straße“ (Louisville). Am 13.8. singt Doc Schoko um 22 Uhr 30 beim „Summerize“ in der Kulturbrauerei, Schönhauser Allee 36.

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