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WÄHLEN (3): Und jetzt Damenwahl

Noch vier Tage: Der Countdown läuft. Wir wählen schon mal – Begriffe, die dem Ereignis Bundestagswahl auf eigene Weise näher kommen.

Die Dame soll wieder gekrönt, soll reinthronisiert werden, soll wieder die Achtung und Verehrung erhalten, die ihr zusteht. Um das zu erreichen, muss die Initiative beim Tanz von ihr ausgehen.“ Im kalten, grauen Nachkriegsherbst beschließt ein Hamburger Gastronom, die deutsche Frau aus dem Schutt zu ziehen, sie strahlen zu lassen – und ihr die Wahl zu lassen. Im Trümmerfeld des Zweiten Weltkriegs sind aus Heldenmüttern junge Witwen geworden, aus Männern Versehrte, Traumatisierte oder Gefallene. Am 1. November 1948 eröffnet Wilhelm Bernhard Keese in Hamburg sein Etablissement und lädt zum Ball Paradox. „Denken Sie stets an die These, es regiert die Frau bei Keese“, verkündet das auf rosa Papier gedruckte Hausgesetz, das auf allen Tischchen ausliegt.

Das Keese-Signet zeigt die schlanke Silhouette einer Prinzessin, die elegant ihr Kleid lupft, während ihr Krönchen leuchtet. „Reizend und kultiviert“, steht darunter – und darüber „Honi soit qui mal y pense“: ein Schuft, der Übles dabei denkt. Der Damenwahl, der Umkehrung untergegangener Etikette, sollte nichts Anrüchiges anhaften. Es hätte dem Geschäft geschadet. Das Café Keese wurde zum Heiratsmarkt, mit einem Ableger in der vormaligen Reichshauptstadt. Eine weibliche Mehrheit schaute dort einer versprengten Männlichkeit ins Auge. Und traf ihre Wahl, für einen Tanz auf sicherem Parkett oder mehr, draußen, wo das Leben um Normalität rang.

In der deutschen Geschichte sind es die Nachbeben des Ungeheuerlichen, die Selbstverständliches möglich machen. Nach dem Ersten Weltkrieg erhalten Frauen am 19.1.1919 das aktive und passive Wahlrecht. „Frauen werbt und wählt, jede Stimme zählt, jede Stimme wiegt, Frauenwille siegt“, reimte die Liberale Elly Heuss-Knapp. Fast 80 Prozent aller Frauen nutzten diese Chance, Statistiken belegen, dass sie fortan konservativer wählten als die Männer – bis es Willy Brandt gelang, in großem Maß Wählerinnen für sich zu gewinnen. Selbst Schröders zweite Amtszeit soll auf das Konto der Frauen gegangen sein, und Obama wäre ohne ihre überdurchschnittliche Zustimmung kaum Präsident geworden.

Auch am Sonntag ist Damenwahl. Nicht nur, weil Angela Merkel wohl Kanzlerin bleiben wird. Unter den Wahlberechtigten sind 32 Millionen Frauen und 30 Millionen Männer. Die Frauen haben das Sagen. Das bringt manches Mannsbild in Verlegenheit: „Jedes Mal, wenn es stiller wird im Saal, dann weiß jeder Cowboy, gleich ist Damenwahl. Ein jeder sich verzieht, dorthin, wo ihn keiner sieht, denn die Band auf der Bühne spielt schon wieder dieses Lied“, rumpeln die Herren von Truck Stop. Heute darf jeder wählen, wen er will – ins Parlament oder aufs Parkett. Es mit Achtung zu tun, kann nicht verkehrt sein: „Widmen Sie einer Dame, die Sie zum Tanz auffordert, Ihre volle Aufmerksamkeit. Nehmen Sie zuvor die Hand aus der Hosentasche, legen Sie die Zigarette ab und schließen Sie Ihr Jackett.“

Bisher erschienen: Wählscheibe (16. 9.), Seitenwahl (18. 9.).

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