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Kultur: „Wagner ist leichter als Mozart“

Regisseur Patrice Chéreau über den „Ring“ auf DVD, seine Lust auf Neues und die Lehren von ’68

Monsieur Chéreau, Sie sind jetzt 62, die Berliner Akademie der Künste feiert Sie mit einer großen Hommage. Fürchtet man sich als Künstler vor dem eigenen Œuvre?

Ich schaue nie zurück. Und ich langweile mich nie. Ich arbeite einfach weiter, ich habe immer Projekte, jetzt gerade in Wien und Aix en Provence, Janaceks Oper „Aus einem Totenhaus“ mit Pierre Boulez, außerdem schreibe ich an einem neuen Film, und dass ich diese Aufgaben habe, dafür bin ich dankbar. Insofern interessiert mich mein Œuvre im Grunde nicht. Natürlich war ich sehr jung, als ich angefangen habe …

Sie galten als Theaterwunderkind, wurden mit 15 bereits im Gymnasium entdeckt.

Ja, ja, da kommt im Lauf der Jahrzehnte einiges zusammen. Aber ein Resümee, das war’s, was ich zu sagen hatte, ein Ende, nein, das gibt es nicht. Das einzige Ende ist der Tod, und der erwartet uns alle.

Sie haben sich immer geweigert, die Genres zu vermischen, also im Theater mit Video zu arbeiten oder Opern zu verfilmen. Die DVD-Edition Ihres Bayreuther Jahrhundert-„Rings“ von 1976 hat sich bislang mehr als 80 000-mal verkauft, die Menschen strömen in die Kinos, sobald die Tetralogie gezeigt wird. Ist das für Sie in Ordnung?

Ja und nein. Das Ganze ist ein historisches Dokument, es spricht von einer ganz bestimmten Zeit, von einer ganz bestimmten, wenn Sie so wollen: politischen Haltung zu Wagners Musiktheater. Insofern hat es einen dokumentarischen Wert, gerade auch für Menschen, die diese Arbeit damals nicht sehen konnten. Aber ein künstlerisches Dokument sind diese DVDs für mich nicht. Oper und Kino, Kino und Theater, das sind ganz andere Grammatiken. Filmisch etwa finde ich den „Ring“ keineswegs gelungen, da sind Racines „Phädra“ und Koltès’ „Die Einsamkeit der Baumwollfelder“ besser. Aber ich habe mich eben auch nicht darum gekümmert. Ich habe mir mal fünf Minuten vom „Making of“ angeguckt, das war’s. Wenn man sich zu sehr mit der eigenen Vergangenheit beschäftigt, dann ist das eine starke Bremse für die Zukunft.

Trotzdem boomt der DVD-Markt, gerade bei Opern.

Der Druck ist sehr stark, man kann sich dem kaum entziehen. Außerdem wäre es schade, den „Ring“ in dieser Form zu haben – aber „Così fan tutte“ und „Totenhaus“ nicht. Also wird es auch davon Aufzeichnungen geben. Mich beruhigt das auf der anderen Seite, weil ich finde, dass ich mich als Regisseur sehr verbessert habe.

Was können Sie heute besser als früher?

Es ist eine Binsenweisheit, aber man wird mit den Jahren tatsächlich klüger. Und man hat mehr Geduld. Mit einem Stück wie „Così fan tutte“ hätte ich als junger Mensch nichts anfangen können. Das ist so frei, das sind so wunderbare Beschreibungen von Liebe, von Verführung, von Erotik, die Mozart und Da Ponte da schaffen – dafür braucht man eine gewisse Souveränität. Es ist eben nicht alles konkret, es ist nicht alles Politik oder Gesellschaft auf der Bühne.

Trotzdem hat gerade Ihr „Ring“ Theatergeschichte geschrieben. Ihre Idee, das Geschehen aus einer wie auch immer mythischen Zeit in die Entstehungszeit des Werks zu versetzen, in die beginnende Industrialisierung, war nicht zuletzt ein starkes politisches Bekenntnis ...

… und ein Wagnis! Sie müssen bedenken, damals war ich noch sehr jung, 31 oder so etwas, und ich war vollkommen naiv. Ich hatte dieses Riesenstück für mich entdeckt, und wie komplex es ist, wie ungeheuer schwierig, das habe ich eigentlich erst hinterher gemerkt. Es waren die Menschen, viele Sänger, Pierre Boulez natürlich, Richard Peduzzi, der Bühnenbildner, mit dem ich seit 40 Jahren zusammenarbeite, die haben mir sehr geholfen. Ein Beleuchter etwa ist mir ganz besonders im Gedächtnis geblieben, Daniel Delanoir, er hat auch in Berlin gearbeitet und ist kurz nach dem „Ring“ sehr jung gestorben. Er war eine hinreißende Persönlichkeit.

Hatten oder haben Sie persönliche Lieblingsstellen, in der „Walküre“ oder in der „Götterdämmerung“?

Meine Lieblingsstellen sind die Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten durfte.

Unsere Begriffe von Macht, Ideologie und gesellschaftlicher Utopie haben sich in den vergangenen 30 Jahren sehr verändert. Würde Sie der „Ring“ heute noch einmal reizen?

Nein.

Es ist alles gesagt?

Das vielleicht nicht, aber ich habe fünf Sommer lang in Bayreuth an dieser Inszenierung gearbeitet, und ich finde, das reicht. Wagner bietet einem als Regisseur ja sehr viel, er ist ein genuiner Theatermann, das merkt man sehr schnell. Insofern ist es viel leichter, den „Ring“ zu machen als beispielsweise eine MozartOper. Und abgesehen davon, dass ich mich nicht gerne wiederhole, möchte ich das, was ich heute in der Welt sehe und erlebe, lieber mit fremden, mir unbekannten Stücken zum Ausdruck bringen.

Gehen Sie eigentlich selber ins Theater, in die Oper?

Nee, fast nie. Das habe ich noch nie getan.

Warum nicht?

Es interessiert mich einfach nicht. Das Theater ist künstlich und die Oper meistens noch künstlicher. Ich gehe viel ins Kino. Doch, halt, ein paar Aufführungen von Luc Bondy habe ich gesehen.

Mit Ihrem „Ring“ haben Sie den Einzug des sogenannten Regietheaters in die Oper gewissermaßen mit angezettelt. Fühlen Sie sich dafür verantwortlich?

Das wäre hybrid. Ich kann nur für mich sprechen, ich bin nur für mich verantwortlich. Meine Aufgabe ist es immer auf der Bühne wie auf der Leinwand eine Geschichte zu erzählen. Einen Text sorgfältig zu lesen, so sorgfältig, wie ich kann. Wenn ich höre, dass manche junge Leute heute in Libretti eingreifen und in Partituren Dinge verändern, wenn ich höre, dass alles nur noch Dekonstruktion sein soll, dann kann ich persönlich damit nichts anfangen, pardon.

Ist unser Repertoire vielleicht erschöpft? Müssen wir die Stücke heute sprengen, um zu neuen Begriffen zu kommen?

Es gibt viele Ausreden für schlechtes Theater. Und ich will hier nicht so etwas wie Werktreue predigen. Es geht nicht um Treue, es geht darum, ob ich als Regisseur, als Interpret weiß, was ich mit einer Geschichte, einem Text sagen will – und wie ich es sagen muss, damit es mein Publikum erreicht. Vielleicht sollten wir auch nicht vergessen, dass Komponisten wie Mozart oder Wagner selbst unglaublich viel vom Theater wussten. Die stehen nicht da und warten auf unsere Korrekturen.

Sie beschreiben sich als einen distanzierten 68er, Ihre politische Sozialisation, sagen Sie, sei erfolgt, lange bevor die Künstler sich mit den Arbeitern verbünden wollten. Welche politische Wahrheit vertreten Sie heute?

Ich habe nach wie vor politische Gedanken, natürlich, und hin und wieder habe ich sogar ganz handfest mit Politik zu tun. Aber was das Künstlerische angeht, weiß ich nicht, ob „politisch“ in diesem Zusammenhang das richtige Wort ist. Es ist nicht alles richtig oder gut, nur weil man sich selbst für politisch hält. War es nicht genau das, was wir aus dem Scheitern von 1968 gelernt haben? Ich versuche heute einfach, so ehrlich und aufrichtig wie möglich zu sein. Zu mir selbst wie zu den Menschen, mit denen ich arbeite. Aufrichtig, nett und nicht egoistisch.

Das Gespräch führte Christine LemkeMatwey.

Patrice Chéreau, 1944 in Lézigné geboren, zählt zu Europas bedeutendsten Bühnen- und Fimregisseuren. Er begann seine Karriere in Paris am Sprechtheater. 1969 inszenierte er seine erste Oper. Legendär ist seine Bayreuther Inszenierung von Wagners Ring 1976; sein populärster Film wurde Die Bartholomäusnacht (1994) mit Isabelle Adjani.

Die Berliner Akademie der Künste widmet Chéreau ab morgen eine Filmreihe in beiden Häusern. Sie beginnt mit vier „Ring“-Abenden und wird u. a. mit seinem auf der Berlinale preisgekrönten Film Intimacy und mit Aufzeichnungen seiner Racine- und Koltès-Inszenierungen fortgesetzt. Zum Abschluss diskutiert Chéreau am 11. März am Pariser Platz. Infos unter www.adk.de.

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