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Die Festspielleiterinnen Eva Wagner-Pasquier (Mitte, vorne links) und Katharina Wagner (vorne rechts) beim Geburtstagskonzert für Richard Wagner.

© dpa

Wagner-Jubiläum: Das Festkonzert in Bayreuth: Der Schöpfer und sein Schatten

Die Bayreuther Festspiele feiern den 200. Geburtstags ihres Gründers und Übervaters mit einem Festkonzert. Christian Thielemann dirigiert. Und doch ist die Atmosphäre kühl, provinziell, lustlos. Und dann sagt Horst Seehofer auch noch: "Wagner war ein Genie schon zu Lebzeiten".

An seinem 200. Geburtstag zeigt sich Bayreuth so, wie Richard Wagner es gehasst hat. Regen peitscht durch leergefegte Straßen, viele Wirtschaften sind zugesperrt nach Pfingsten, und beim Metzger gibt es keine Meistersingerwurst zur Stärkung der unbedingt Feierwütigen.

Diesen Drang muss man schon mitbringen nach Oberfranken. Wer Wagner hier sucht an seinem Ehrentag oder gar eine Haltung zu ihm, wird nur unter Mühen fündig. Dafür begegnet einem an jeder Ecke, einladend präsentiert, Wissenswertes zum 250. Geburtstag von Jean Paul. Die Wagner-Pilgerstätten hingegen sind Großbaustellen: Ein Betonmischer rumpelt die Auffahrt zu Haus Wahnfried herauf, das ganz hinter Bauzäunen verborgen liegt. Künftige Generationen sollen im neu gestalteten Museum auch Kaffee trinken können, dessen Duft sich dann mit dem Gralsmotiv aus „Parsifal“ mischen kann. Durch die Pfützen im Hofgarten ist zumindest die Grabstätte von Richard und Cosima irgendwie erreichbar, auf der nassen Granitplatte ohne Inschrift liegt ein Lorbeerkranz der Stadt als immergrüner Gruß. „Die Welt weiß, wer hier ruht“, war Wagner sicher. An diesem kalten 22. Mai fragt man sich, ob er in seinem maßlosen Narzissmus nicht doch etwas zu optimistisch gewesen ist.

Das Festspielhaus hat sich auf den Tag genau 141 Jahre nach Grundsteinlegung in eine künstliche Haut gerettet. Seit Jahren bröckelt der Theaterbau , nun ist er eingerüstet. Wagner liebäugelte mit einem temporären Haus, das mit Ende der „Ring“-Aufführung zusammen mit Walhall in Flammen aufgeht. Dass sein Theater die Zuschauer mithilfe lockeren Putzes erschlagen möge, fiel selbst ihm nicht ein. Nach der Ansage Katharina Wagners, die Festspiele bräuchten mehr Geld, wurden kurz vor dem Geburtstagskonzert noch Planen vors Gerüst gehängt. Sie zeigen das Festspielhaus bunter, als es je war. So kann Bayerns Ministerpräsident denn auch von einer Perle sprechen, die sich der Freistaat viel kosten lasse. Horst Seehofer ist der einzige Redner vor dem Festkonzert. Mit freibeuterischer Selbstverständlichkeit verleibt er Wagner – „ein Genie schon zu Lebzeiten“ – einem vielbeschworenen Bayerngefühl ein. Niemand da, der widersprechen könnte, nur ein vergrößerter Holzschnitt von Anselm Kiefer im Bühnenhintergrund, über dessen filigraner Flusslandschaft drohend „das Rheingold“ schwebt. Die lebenden (und regierenden) Wagners schweigen. Selbst der Protest gegen die Wagnerfeierei bedient sich leiser Methoden. Zu Pfingsten erhielten Tausende gefälschte Eintrittskarten für die Eröffnung der diesjährigen Festspiele. Bei genauer Betrachtung ließ sich folgende Botschaft aufspüren: „Dieses Ticket ist gefälscht. Tut uns leid. Echt ist dagegen Wagners Antisemitismus.“ Die Festspiele erstatteten Anzeige.

Schock im Publikum: Wie kann der Moderator Wagner-"Arien" ankündigen?

Das neue Wagner-Denkmal von Stephan Balkenhol in Leipzig.
Das neue Wagner-Denkmal von Stephan Balkenhol in Leipzig.

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Die Last, etwas zur Orientierung beizutragen, liegt allein in den Händen von Christian Thielemann, offizieller Geburtstagsdirigenten in Bayreuth, Leipzig, Venedig und dem Rest der Welt. Mit dem Festspielorchester begibt er sich auf ein Programm fern von Überraschungen. Die vorgesehene Ouvertüre zu „Rienzi“, Hitlers Lieblingsoper, purzelte politisch überkorrekt von den Pulten. Bleiben der 1. Aufzug „Walküre“, Vorspiel und Liebestod aus „Tristan und Isolde“, Rheinfahrt und Trauermarsch aus „Götterdämmerung“ und das „Meistersinger“-Vorspiel. Thielemann versucht nach Kräften, alles Staatstragende zu vermeiden, zart ohne Sentimentalitäten zu taktieren. Das „Walküre“-Unwetter bleibt hinter dem realen Bayreuther Wetter zurück, manches zieht sich ohne Glut, besonders, wenn Johann Botha sich als regloser Siegmund versucht. Wie dieser erstarrte Startenor in Frank Castorfs neuem „Ring“ agieren will, ist schwer vorstellbar. Lichtblick: Eva-Maria Westbroek als blühende Sieglinde inmitten des Geburtstagswinters. Die Rheinfahrt, eine eher sachlich verhandelte Tourenbeschreibung, der Schock nach Siegfrieds Tod ohne kollektiven Schrecken. Und dann verhebt sich Thielemann ausgerechnet beim „Meistersinger“-Vorspiel furchtbar. Er will tanzen – und bringt Wagners gesellschaftliche Vision einer positiven Biederkeit doch keinen Millimeter weg von der kalten fränkischen Erde. Wie licht klang da Karajan beim Bayreuther Neuanfang 1951, wie verheißend.

Es ist kurz vor Mitternacht, als Ulrich Meyer, ein Veteran des Privatfernsehens, die Gäste zur Geburtstagsfeier in der Stadthalle begrüßt. Die Gänge des unwirtlichen Ortes sind mit schwarz- weißen Wagner-Bannern zugehängt, die aussehen, als hätte sie Chaplin für seinen „Großen Diktator“ anfertigen lassen. Meyer wurde von den Festspielleiterinnen zum Zahlenverlesen engagiert, wofür er ihnen umfassend dankt.

Horst Seehofer, der einzige Festredner beim Geburtstagskonzert.
Horst Seehofer, der einzige Festredner beim Geburtstagskonzert.

© dpa

Bis ihm das Mikrofon entwendet wird. Eine Dame merkt entrüstet an, dass die einzige noch lebende Enkelin Wagners nicht erwähnt worden sei. Unter Applaus erhebt sich die 92-jährige Verena Wagner Lafferentz, die, von Hitler hofiert, einst einen SS-Obersturmbannführer heiratete. Meyer schaut pikiert und sagt mit Klaus Florian Vogt den Stargast der Nacht an, der „drei Arien“ singen wolle. Den darbenden Wagner-Anhängern gefriert das Blut in den Adern: Der Meister schrieb niemals Arien. Vogt singt zu herunterfallenden Gabeln tatsächlich noch die Gralserzählung des „Lohengrin“, seine strahlende Stimme sucht nach Halt, nach Resonanz. Vergebens. Eine Entzauberung, flankiert von heillos überforderter Gastronomie mit zu 200 Prozent erhöhten Preisen. Als Meyer noch zum 300. einlädt, werden selbst langmütige Bayreuther ungnädig. Wie gut doch Leipzig – wo am Mittwoch das Wagner-Denkmal von Stephan Balkenhol eingeweiht wurde – das Jubiläumsjahr nutze. Wie provinziell man sich in Franken zeige. Wie lustlos die Festspielleitung agiere.

Um halb zwei werden die letzten Desserts angeboten wie sauer Bier. Durch die schlafende Stadt zieht der Geruch von Malz. Wartet, wartet nur ein Weilchen, dann kommt Castorf auch zu euch.

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