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Christine Lemke-Matwey

© Jörg Schulze

Wagner-Werkstatt (3): G’schichten aus dem Frankenwald

Das gab's noch nie: Eine Journalistin, die in Wagners Allerheiligstes vorgelassen wird und dort die nächsten sechs Wochen zubringen darf. Diesmal pirscht sich Christine Lemke-Matwey an das Quartier von Dirigent Andris Nelsons heran.

An dieser Stelle muss auch einmal etwas zur Wohnsituation in Bayreuth gesagt werden. Die ist nämlich heikel, Christoph Schlingensief hat vor sechs Jahren, als er hier „Parsifal“ inszenierte, nicht aus Jux und Dollerei im Wohnwagen campiert. Man stelle sich vor: Jahr für Jahr, von Mitte Juni bis Ende August, bricht in der fränkischen Provinz der Ausnahmezustand aus – die Festspielangestellten kommen! Künstler, Handwerker, Techniker: Alle wollen möglichst hügelnah und günstig und natürlich ruhig wohnen und gerne mit Garten, schließlich kriegt man am Theater den lieben langen Tag weder frische Luft ab noch einen Sonnenstrahl.

Manche stellen an ihre Quartiere sogar ästhetische Ansprüche. Dass es noch schlimmer geht als mit Schrankwänden und Gummibäumen, beweisen Einzelschicksale: In Hans Neuenfels’ Wohnung etwa ist die Heizung abgestellt, weshalb er sich jeden Morgen – fränkische Nächte sind frisch – erst einmal in der Kantine warmessen muss. Oder die Saisonkraft im Pressebüro, eigens aus Wien engagiert, reist am späten Abend an und muss feststellen, dass sein Vermieter die Stromrechnung nicht bezahlt hat, weshalb er schließlich bei der Nachbarin klingelt und um eine Kerze und Streichhölzer bittet. Kennen Sie die Szene aus Giacomo Puccinis Oper „La Bohème“? Genau so! Das einzige, was in dieser ersten Nacht funktionierte, war das Internet. Darüber hinaus hat Puccini, pfui, auf dem Grünen Hügel natürlich nichts zu suchen.

Und Andris Nelsons, der Dirigent, wie wohnt er? Oh, schööön, sagt der junge Lette und zeigt in Richtung einer Einfamilienhaussiedlung oberhalb des Hügels, Jägerzäune, Buchsbaumhecken, Gartenzwerge. Nelsons findet in Bayreuth alles schön, er ist die Freude in Person, ganz gleich, ob er nun vier Stunden im Graben sitzt und nur einzelne Takte dirigiert, weil auf der Bühne dauernd unterbrochen wird, oder ob seine Festspielunterkunft ihn mit Gelsenkirchener Barock erschlägt.

Nelsons ist so froh und so enorm freundlich, dass Hans Neuenfels am liebsten ein Loch in den berühmten Deckel des berühmten Orchestergrabens schneiden würde, ein Fenster, um am bloßen Anblick, an den herzzerreißend schönen Bewegungen „seines“ Dirigenten zu genesen. Das wiederum wäre ein Sakrileg (nicht das Genesen, sondern das Loch). Richard Wagner hat nicht Jahrzehnte seines Lebens mit der Erfindung des „unsichtbaren Orchesters“ zugebracht, damit Anno 2010 ein gebürtiger Krefelder kommt und ihm da irgendetwas hineinsägt. Also bleibt’s am Regietisch bei dem winzigen Monitor, auf dem zumindest Nelsons liebes Gesicht leuchtet.

Ich selbst bin in einer Bauernhof-WG etwas weiter weg untergekommen. Es ist die zweite WG-Erfahrung meines Lebens, die erste ist über 20 Jahre her und scheiterte daran, dass mein Mitbewohner nie abwusch. Im Moment sind wir auf dem Bauernhof zu acht, so ganz überblicke ich das nicht, sehr verschiedene Menschen, die sehr verschiedenen Tätigkeiten ausüben, hinzu kommen 26 Hühner plus aktuell 19 Küken plus eine hofeigene Katze plus fünf Bienenvölker plus Obstbäume plus Gemüsegarten. Das Pferd, das morgens unter meinem Fenster wiehert, gehört den Nachbarn, die außerdem eine Hundezucht betreiben, und die Kühe am Horizont runden ein Bild ab, wie es idyllischer nicht sein könnte. Neuenfels und sein Bühnenbildner Reinhard von der Thannen und die Sänger mögen in Andris Nelsons verliebt sein, ich liebe den Frankenwald.

Abgewaschen habe ich auch schon, aber das liegt daran, dass ich landwirtschaftlich so untauglich bin. Was ich Nützliches zum WG-Leben beitragen könne, war die erste Frage meines Vermieters: Mal den Hühnerstall ausmisten vielleicht oder Setzlinge setzen oder schauen, ob bei den Bienen alles in Ordnung ist? Ich habe mich mit dem Theateralltag herausgeredet, morgens rein in die schwarze Kiste und nachts wieder raus, na, ihr wisst schon. Daraufhin haben meine sieben Mitbewohner nur ratlos genickt, soso, „Lohengrin“, hmhmhm. Soll ja Leute geben, die mögen so was.

Mit Richard Wagner jedenfalls hat die Bevölkerung rund um den Grünen Hügel nicht viel zu tun. Wobei es Berührungspunkte gibt. Seit die Festspielleitung über mich ein paar Kilo Honig beim Hof geordert hat, ist das Interesse der WG deutlich gestiegen. Der Herbert kennt plötzlich einen, der war schon mal leibhaftig drin im Festspielhaus. Und die Anna hat früher Cello gespielt. Schon recht, liebe Leute. Aber ich sag’s euch gleich: Im Festspielkartenbesorgen bin ich mindestens so miserabel wie im Hühnerstallausmisten.

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