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Christine Lemke-Matwey

© Jörg Schulze

Wagner-Werkstatt (6): Zu Lohengrin in die Therme

Das gab's noch nie: Eine Journalistin, die in Wagners Allerheiligstes vorgelassen wird und dort die nächsten sechs Wochen zubringen darf. Diesmal geht Christine Lemke-Matwey baden und denkt über Schwäne nach.

Als erstes muss ich Asche auf mein Haupt streuen und dem Leser „Kurwenal“ für seine Aufmerksamkeit danken: Natürlich spielt die Bayreuther Kinderoper heuer nicht den „Fliegenden Holländer“, wie behauptet, (den gab’s im vergangenen Jahr), sondern den „Tannhäuser“. Mea culpa also, aber bei so viel Wagner kann man schon ein bisschen konfus werden. Außerdem hat sich der Sommer inzwischen auch auf dem Grünen Hügel herumgesprochen. So wurden die Parkplätze samt ihrer Plaketten am Wochenende in goldene, grüne und rote Zonen eingeteilt. Meine Plakette ist rot und der dazugehörige Parkplatz renitent baum- und heckenlos. Können Autos eigentlich schmelzen, frage ich mich? Als ich mir unlängst bei einem unbedachten Griff ans Lenkrad eine kleine Brandblase holte, lief im Radio gerade ein Beitrag über Frankens schärfste Chili-Schoten. Gegen einschlägige Verbrennungen und Verätzungen bei unbedachtem Verzehr, hieß es, solle man am besten Butter essen oder ein Stückchen Frischkäse. Dummerweise hatte ich beides nicht zur Hand.

So hilft nur eine Konsultation der Kneippanlage gleich oberhalb des Festspielhauses, ohne Auto natürlich, dafür im Storchenschrittgedrängel der Generation 70+. Oder ein Besuch der Lohengrin-Therme am anderen Ende der Stadt unter ähnlichen demografischen Bedingungen. Die Therme hat gerade eine Plakette (!) verliehen bekommen für den besten barrierefreien Zugang für Beinamputierte. Ich habe dort noch nie einen/eine Beinamputierte(n) gesehen, aber so genau guckt man ja auch nicht unter Wasser. Allerdings habe ich mich immer schon gewundert, warum die Therme nicht Tristan-Therme heißt oder, noch besser, Isolden-Therme? Ist Wasser nicht das weiblichste aller Elemente?

Im „Tristan“ spielt Wasser fraglos eine viel tragendere Rolle als im „Lohengrin“, da gibt’s ja nur den Schwan am Anfang und am Ende. Der „Lohengrin“ hat einen Fluss, die Schelde bei Antwerpen, der „Tristan“ hat das Meer. Darüber hinaus enden beide Opern böse, im „Tristan“ ist’s der Liebestod, der die Protagonisten dahinrafft, im „Lohengrin“ macht sich der Retter der Welt, Elsas Wunschritter, aus dem Staub, bevor er sein Erlöserwerk überhaupt begonnen hat. Nach einem echten Marketing-Coup für die Therme klingen die letzten Worte der Partitur jedenfalls nicht:

In der Ferne wird Lohengrin wieder sichtbar. // Er steht mit gesenktem Haupte, traurig auf seinen Schild gelehnt, im Nachen; bei diesem Anblick bricht alles in einen lauten Wehruf aus.

KÖNIG. DIE FRAUEN. DIE MÄNNER.

Weh!

ELSA.

Ach!

Sie sinkt entseelt in Gottfrieds Armen zu Boden. // Während Lohengrin immer ferner gesehen wird, sinkt langsam der Vorhang.

Gottfried ist Elsas kleiner Bruder, den die heimtückische Ortrud in den besagten Schwan verwandelt hat – aber das erkläre ich später einmal genauer. Hans Neuenfels hat diesen Schluss gerade zum ersten Mal „gestellt“, wie man sagt. Die Grundchoreografie der Szene ist bereits sichtbar, mit Schwan und kleinem Gottfried (der Bub war 2009 in Stefan Herheims „Parsifal“-Inszenierung der junge Parsifal, hat also Bühnenerfahrung) und allem drum und dran. Ein triumphatorisches Ende wird das nicht, so viel kann ich verraten, von wegen „Seht da den Herzog von Brabant,/ zum Führer sei er euch benannt.“ Ein Kind als Heilsbringer und Führer? Er sei strikt gegen jede Hitlerisierung und Stigmatisierung der Partitur, sagt Neuenfels. „Lohengrin“ soll ja (neben der „Lustigen Witwe“) Hitlers Lieblingsoper gewesen sein, aber dasselbe wird auch von den „Meistersingern“ behauptet, und so streiten sich die Quellen. Was hieße das denn auch? Die Oper aus Gründen politischer Korrektheit nicht mehr zu spielen? Ihr musikalisches Pathos-Potenzial – über das sie zweifellos verfügt – einer politischen Ideologie zu bezichtigen? Absurd.

Vielleicht ist die Frage, wie viel Hitler in Wagner sei, in den letzten Jahrzehnten einfach zu oft gestellt worden.

Außerdem sind die Zeiten auch so schweißtreibend genug. Auf der Probebühne VI, auf der das „Lohengrin“-Team derzeit probiert, ist es fast noch kommod. Zwar wird die Luft ein bisschen knapp, wenn 134 Choristen und sechs Solisten aus vollen Kehlen singen, und die restliche Belegschaft auch noch atmen will. Man sieht hier neuerdings jede Menge nackter Männerbeine in Sandalen, mit und ohne Socken. Schon sehr komisch, wenn diese Sandalenbeine mit „Heil, König Heinrich!/ König Heinrich Heil!“ in ein Fortissimo ausbrechen, dass die Wände wackeln! Ihn interessiere, was funktioniert, sagt Chorleiter Eberhard Friedrich, was so viel heißt wie: In Fragen der Regie mischen wir uns nicht ein. Friedrich, im Hauptberuf Chordirektor an der Berliner Staatsoper, arbeitet seit 18 Jahren auf dem Hügel. Seit 18 Sommern keine Sommerferien – wenn Friedrich am 29. August zurück nach Berlin fährt, hat die Staatsoper ihre Arbeit bereits wieder aufgenommen.

Warum er sich das antut? Weil man in Bayreuth seine Batterien so gut aufladen könne, sagt er. Weil die Arbeit so professionell sei. Und wegen der Kneippanlage und der Lohengrin-Therme und den Biergärten und Bauernmärkten und dem Frankenwein und seinem schönen schattigen Parkplatz am Hügel und überhaupt.

Das kann ich – mit einer klitzekleinen Ausnahme – alles nur bestätigen. Außerdem führe ich jetzt immer ein Stückchen Butter bei mir.

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